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In vier hochkarätigen Panels, die vor Ort im SIX ConventionPoint oder via Webcast verfolgt werden konnten, beleuchteten die von SIX Swiss Exchange eingeladenen Fachexperten die makroökonomischen Entwicklungen, ESG-Integration in die Anlagestrategie, Chancen und Herausforderungen mit Kryptowährungen sowie Tätigkeit und Nutzen von «Finfluencers». Das Keynote-Referat von Dr. Fritz Zurbrügg, Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, und das anschliessende Kaminfeuergespräch schärften die Sinne für die Kernaufgaben der SNB und den Umgang mit kreativen Ideen zur Verwendung der Nationalbankgewinne. Die Aufzeichnungen der einzelnen Programmteile sind weiter unten sowie auf der BörsenTalk Event-Seite verfügbar.
Panel 1: Economic Roundtable
Am Economic Roundtable beschäftigt zum Einstieg die Frage, ob die Notenbanken die Teuerung noch im Griff hätten. Aus Expertensicht fällt die Antwort differenziert aus: Gegen hohe Erdölpreise und gegen Produktkosten, die wegen Lieferengpässen am Steigen sind, können Zinserhöhungen nichts ausrichten. Mit dem Dämpfen der volkswirtschaftlichen Nachfrage können die Notenbanken aber korrigierend einwirken. Und das wird jetzt auch geschehen, sowohl in den USA wie auch in Europa. Während die Meinungen darüber auseinandergehen, ob die SNB sogar vor der EZB die Zinsen erhöhen werde, sind sich die Experten darin einig, dass sich der Schweizer Franken in absehbarer Zukunft nicht merklich aufwerten dürfte – es sei denn, es kommt zu einer deutlichen Kriegseskalation im Ukrainekonflikt.
Dass Europa nun in eine Phase der Stagflation eintritt, daran glauben die Experten nicht. Wir werden uns zwar an etwas höhere Inflationsraten gewöhnen müssen. Die langfristigen Inflationserwartungen liegen heute aber weniger hoch als bei grösseren Rezessionen der Vergangenheit. Dies zeige, dass die Notenbanken besser steuern. Zudem fehlen in Europa grosse volkswirtschaftliche Ungleichgewichte, ein exzessiver Investitionsboom oder eine massive private Verschuldung - ebenfalls alles Merkmale früherer Rezessionen. Für die Schweiz werden sich die grossen Fragen nicht im Markt generell stellen. Interessant wird vielmehr sein, wie die einzelnen Unternehmen individuell mit der Lage zurechtkommen. Die Anleger können nicht mit einer allgemeinen V-förmigen Erholung rechnen. Erste Anzeichen für eine Bodenbildung könnten aber immerhin vorhanden sein. Im Moment gelte es für Anleger am langfristigen Plan festzuhalten, so die Expertenmeinung.
Panel 2: Turbulent Times for ESG Investments – Which Letter Will Prevail?
Die Bedeutung von ESG, also von Kriterien bzgl. Umgang mit Umwelt, Sozialem und der Unternehmensführung, nimmt aus direkter Erfahrung der SIX Swiss Exchange weiter zu. Die Firmen haben sich in den letzten Jahren verstärkt mit dem Thema auseinandergesetzt, auch weil ESG besser definiert, strukturiert und damit fassbar geworden ist, so die Meinung des Expertenpanels. Das Thema sei aber aufgrund von Aktualitäten auch Schwankungen unterworfen. So hätten beispielsweise Öl- und Gas-Titel aufgrund des Ukrainekriegs kürzlich besser performt als ESG-fokussierte Produkte. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen sei langfristig aber unausweichlich, und der Krieg habe entsprechende Entscheidungsprozesse beschleunigt.
Nach Expertenmeinung verfügt die Schweiz mit ihrer Wasserkraft über Vorteile. Aber auch Nuklearenergie, die heute viel fortschrittlichere Technologie nutzt als noch vor 50 Jahren, sei gemäss Fachkreisen eine spannende Option. Die Experten sind sich einig, dass der Druck der Anleger ESG noch mehr Gewicht verleihen werde. Insbesondere, weil auf lange Frist Anlagen mit ESG-Fokus schon heute besser performen als traditionelle Anlagen. Insgesamt sei Europa weltweit führend, was ESG angehe. Die Regelwerke seien gut, könnten aber noch etwas straffer werden. Das spiegle sich auch bei den Unternehmen und deren Nachhaltigkeitsberichten. Investoren und Gesetzgeber würden schönfärberische Broschüren zusehends weniger goutieren.
So wenig sich die Experten zum Schluss darauf einigen wollen, ob eine 4-Tage-Woche zu befürworten wäre, so klar sagen alle, dass sämtliche drei Buchstaben von ESG künftig Anlageentscheide beeinflussen werden. Ein Beweis dafür lieferte Tesla mit seinem Ausschluss aus dem S&P 500 ESG-Index: Versäumnisse auf sozialer Ebene und in der Unternehmensführung wogen schwerer als der Beitrag des Elektroautobauers an die Reduktion der CO2-Emissionen.
Panel 3: Is 2022 the Year of Widespread Crypto Adoption?
Zur deutlichen Korrektur an den Krypto-Märkten über die vergangenen Wochen konstatiert das Panel sachlich: Sie war nötig. Und sie biete gleichzeitig auch Einstiegschancen. Ein Votum ermuntert zum Experimentieren mit den Produkten. Dies auch, weil der Krypto-Markt heute an einem ganz anderen Ort ist als noch vor fünf Jahren. Infrastruktur, Produktvielfalt, Marktteilnehmer: Das alles hat sich stark entwickelt. Heute ist auch institutionelles Geld in Kryptos, etwas, worauf viele Investoren gewartet haben und das von Vertrauen in die Anlageklasse zeugt. Diese ist aber zyklischer als manche glaubten, die Korrelation zum Tech-Markt natürlicherweise hoch. Bezüglich Regulierung des Krypto-Marktes erkennen die Experten zwei unterschiedliche Bereiche: Produkte wie ETP beispielsweise sind sehr klar reguliert, und die Notwendigkeit von Regulierung wird im Panel auch nicht infrage gestellt. Insbesondere die grossen Marktakteure begrüssen klare Rahmenbedingungen. In gewissen Marktteilen hinkt die Regulierung aber immer noch hinterher. Grundsätzlich wird erwartet, dass die Zahl der Regeln weiter zunimmt. Weiter glauben die Experten, dass in der Zukunft jedes Asset auf der Welt tokenisiert werden wird. Entsprechend wird man auch Kryptos im Hintergrund nutzen, ohne dies überhaupt zu spüren. Die Kritik, dass Kryptos ideal seien zur Finanzierung illegaler Machenschaften, lassen die Experten nicht gelten. Es fehle bei dieser Behauptung oft an Wissen über Regulierung und Funktionsweise der Kryptos. Die Kryptos seien eher wie digitales Gold, dessen Kurs nach seiner Loslösung von den Währungen auch während zehn Jahren sehr stark geschwankt habe. Verschwinden würden die Kryptos auf jeden Fall nicht mehr.
Panel 4: Finfluencers
Finanzwissen wird in der Schweizer Grundbildung nur spärlich vermittelt. Und wenn, dann sehr trocken. Diese Erkenntnis hat alle Finanz-Influencers, oder eben «Finfluencers», im Panel zu ihrer Tätigkeit gebracht. Viele rutschen einfach in die Rolle, weil sie für sich selber ein Wissensdefizit feststellen und merken, dass sie damit nicht alleine sind. Das Eigeninteresse an spezifischen Finanzthemen bestimmt denn gerade zu Beginn einer Tätigkeit als Finfluencer oft, worüber man schreibt oder erzählt. Die Themen, die an einen herangetragen werden, zeigen: Das Schweizer Publikum interessiert sich für hiesige Geldfragen. Und es verlangt nach lustvollen und leicht verständlichen Antworten.
Die Finfluencer füllen eine Lücke bei der Finanzkompetenz in der Bevölkerung. Sie tun dies zunehmend auch im Auftrag von Unternehmen, die gemerkt haben, dass sie auf diese Weise an Zielgruppen herankommen, die sie sonst nicht erreichen. Zentral ist dabei aus Sicht aller Finfluencer, dass man transparent macht, wenn ein Beitrag bezahlt ist. Manche Finfluencer verdienen genug, um mit dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber die Flut an Interaktion erfordert viel Energie und Durchhaltevermögen, auch weil gewisse Themen immer und immer wieder nachgefragt werden.
Gefragt nach ihren Wünschen an die Finanzbranche, sagen die Finfluencer: Es fehlen günstige Angebote für Anlage-Einsteiger. Für kleine Investitionsbudgets sind die Gebühren schlicht zu hoch. Und Frauen wünschten sich oft einen edukativeren Beratungsansatz. Sie möchten lieber die Anlagen und deren Mechanismen verstehen als bloss verschiedene Produkte zur Auswahl vorgelegt bekommen.
Keynote Speech and Fireside Chat with Dr. Fritz Zurbrügg, Vice-Chairman of the Swiss National Bank
In seinem Keynote-Referat wirft Fritz Zurbrügg durch die makroökonomische Brille einen Blick auf die gegenwärtige Wirtschaftslage in der Schweiz und in der Welt. Die Weltwirtschaft ist nach der Pandemie weiterhin auf Erholungskurs, der Ausblick hat sich aber seit Januar verdüstert. Die erhöhte Unsicherheit sei makroökonomisches Gift. Und es sei das erste Mal, dass sich Nationalbanken auch mit Lieferengpässen zu beschäftigen hätten. Realeinkommen seien wegen der Inflation am Sinken. Gründe für die Inflation seien das Wachstum nach der Pandemie, der Ukrainekrieg, Lieferengpässe und die nominale Frankenaufwertung.
Die SNB erwartet keine anhaltend hohe Inflation, weil dazu beispielsweise die Energiepreise oder die Lieferengpässe sich gleich dynamisch weiterentwickeln müssten wie im vergangenen Jahr oder eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen müsste. Diesen Treibern gilt das Augenmerk der Nationalbank. Zurbrügg sieht das Schweizer Finanzsystem gut gerüstet für die Zukunft. Sorge bereitet ihm hingegen, dass eine ganze Generation vergessen hat, welch regressive und beträchtliche Auswirkung die Inflation hat, insbesondere für Haushalte mit niedrigen Einkommen.
Sowohl im Referat wie auch im anschliessenden Gespräch betont Zurbrügg mehrfach, welches die Hauptaufgabe der Nationalbank ist: Die Sicherstellung der Preisstabilität. Dem sind andere Ambitionen unterzuordnen, seien es Forderungen nach einer Emanzipation von der EZB, Forderungen nach einer direkten, ausserordentlichen Gewinnausschüttung der SNB, nach einem Staatsfonds oder nach einer gezielten Einwirkung auf die Klimaentwicklung. Gerade bei ESG-Kriterien ist er immer wieder überrascht, mit welcher Unbedarftheit bisweilen die Komplexität des Themas übergangen wird.
SIX Swiss Exchange bedankt sich bei allen Referentinnen und Referenten für die wertvollen Einblicke, Inputs und Meinungen! Nicht vergessen: der nächsten BörsenTalk findet im Juni 2023 statt – jetzt vormerken!