Der Brexit hat zu erheblichen Verschiebungen in der europäischen Handelslandschaft geführt. Welche Beobachtungen machen Sie aus Sicht der Schweizer Börse?

André Buck: Das politische Patt zwischen der Europäischen Union und der Schweiz, das die Repatriierung des gesamten Handels mit Schweizer Wertpapieren Mitte 2019 erzwang, ebenso wie die Rückkehr des Wettbewerbs nach Abschluss des Äquivalenzabkommens zwischen Grossbritannien und der Schweiz Anfang 2021, wurden von der Schweizer Börse und allen Marktteilnehmern reibungslos bewältigt.

Auf der einen Seite kann man also von einer «Rückkehr zur Normalität» sprechen –allerdings hat die EU der Schweizer Börse noch immer keine Äquivalenz zuerkannt, weshalb der Bundesrat im November 2021 angekündigt hat, die bestehende Schutzmassnahme zu verlängern und die Vernehmlassung zur Aufnahme ins Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinMiG) einzuleiten.

Das klingt, als gäbe es auch ein «Aber». Welche Nachteile sehen Sie?

Ja, es gibt ein «Aber», denn auf der anderen Seite hat die regulatorische Divergenz zweifellos zugenommen. Wir haben unsere Händler gefragt, wie sie diese Divergenz zwischen der EU und Grossbritannien einschätzen. Zwei von fünf Befragten gaben an, dass es eine Herausforderung sein wird, die aber zu bewältigen ist; ein Drittel gab an, dass es zu mehr Kosten und Verwirrung bei den Anlegern führen wird. Nur 8% denken, dass die regulatorischen Divergenzen keine Auswirkungen haben werden, weder positiv noch negativ – mit dieser Meinung sind sie also eindeutig in der Minderheit.

In welchen Bereichen erwarten die Händler eine regulatorische Divergenz?

Laut den Ergebnissen unseres Trader Survey ist für 38% der Befragten das Dark Trading der am stärksten betroffene Bereich. Es folgen die Prospektrichtlinien mit 18%, die Abschaffung der «Double Volume Caps» (DVC) mit 14%, die Kursabstufungen mit 12% , sowie die Abschaffung der «Share Trading Obligation» (STO) und die Senkung des Schwellenwerts für grosse Aufträge (Large-in-Scale, LIS) mit jeweils 9%.

Prozentual gesehen sind dies keine grossen Unterschiede – aber das liegt daran, dass es in vielen verschiedenen Bereichen Überlappungen gibt. Die Herausforderungen für die Branche sind darum enorm: Es geht nicht nur um eine Problematik, sondern um mehrere gleichzeitig.

Christian Reuss, Head SIX Swiss Exchange

Unsere Stärke ist seit jeher, den Dialog mit unseren Kunden zu führen, um ihre Probleme zu verstehen, einen Konsens zu finden und Lösungen zu entwickeln.

André Buck, Global Head Sales & Relationship Management

Welche Herausforderungen stellen sich Handelsteilnehmern, die auf mehreren Märkten aktiv sind? Können Sie dies anhand eines Beispiels erläutern?

Nehmen wir das Beispiel der grossen Aufträge, gemäss der Large-in-Scale-Definition: Grossbritannien hat die Schwellenwerte für Ausnahmen von der Vorhandelstransparenz gesenkt, während die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA ihre eigenen Richtlinien für Grossaufträge hat. Nimmt man die Schweiz hinzu, erhält man drei völlig unterschiedliche Regelungen für Large-in-Scale-Aufträge. Das schafft Verwirrung, was der Qualität der Kursbildung natürlich schadet.

Wie begegnet die Schweizer Börse diesen Herausforderungen?

Unsere Stärke ist seit jeher, den Dialog mit unseren Kunden zu führen, um ihre Probleme zu verstehen, einen Konsens zu finden und Lösungen zu entwickeln: mit dem Markt, für den Markt. Unsere Marktstruktur ist geprägt durch eine Vielzahl von Handelsteilnehmern mit unterschiedlichen – und manchmal gegensätzlichen – Bedürfnissen und Interessen. Diese bestmöglich auszubalancieren, um nicht den kleinsten, sondern den grössten gemeinsamen Nenner zu finden, ist und bleibt unser Ziel.

Denn eine stabile und zuverlässige Handelsplattform, die gleichzeitig höchsten Ansprüchen an Kapazität und Geschwindigkeit gerecht wird sowie ein breites Spektrum an Anbindungsmöglichkeiten bietet, ebenso wie Funktionalitäten und Dienstleistungen, die zur Verbesserung der Liquidität und der Handelsbedingungen auf unserem Markt beitragen – auch diese Qualitäten schätzt jeder unserer Teilnehmer, genau wie unsere persönliche Beziehung zu ihnen.