Operationelle Resilienz– kein Spielraum für Fehler
Finanzmarktinfrastrukturen (FMI), d. h. Börsen, Zentralverwahrer (CSD) und Central Counterparty Clearing Houses (CCP) sind alles wichtige Komponenten, welche die Integrität und den reibungslosen Ablauf der Finanzmärkte gewährleisten.
Die Fähigkeit von FMI, in allen Arten von Black -Swan-Szenarien tätig zu werden und einen nahtlosen Service während der gesamten Zeit anzubieten, ist nicht verhandelbar.
«Als FMI müssen wir stabil, zuverlässig und in allen möglichen Krisen verfügbar sein, ob in einem Krieg oder bei Volatilität an den Finanzmärkten. Wir investieren riesige Geldbeträge in unsere Infrastruktur, um die operative Stabilität aufrechtzuerhalten, wenn unsere Kundinnen und Kunden uns am dringendsten brauchen», sagt Jos Dijsselhof, CEO von SIX.
Das ist nicht nur in der Schweiz von Bedeutung.
In Indien beispielsweise gibt es bei den beiden grössten Börsen des Landes einen Mechanismus, über den sie gegenseitig auf ihre jeweiligen Risikomanagementsysteme zugreifen können, wenn eine der beiden Börsen ausfällt, so ein Referent. Der gleiche Referent sagte zudem, dass in Indien Notfallmassnahmen bestehen, um Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern direkten Zugang zu einer Börse zu verschaffen, falls ein grosser systemisch wichtiger Broker in Schwierigkeiten gerät.
Ein weiterer Schwerpunktbereich für FMI ist die Cyber-Sicherheit.
«Unsere Investitionen in Cyber-Sicherheit haben in den letzten fünf bis zehn Jahren drastisch zugenommen. Wir setzen gerne die nötige Zeit und Aufmerksamkeit ein, um unseren Leuten die Bedeutung von Cyber-Sicherheit aufzuzeigen und das Bewusstsein für Cyber-Risiken zu erhöhen - und wir tun dies, weil es sich insgesamt lohnt» so Jos Dijsselhof weiter.
Diese verstärkte Betonung der Cyber-Hygiene kommt daher, dass die Bedrohungen durch Cyber-Kriminelle stets zunehmen sowie intensiver und raffinierter werden. Gemäss der neusten Systemic-Risk-Barometer-Umfrage identifizierte die Depository Trust & Clearing Corporation (DTCC) Cyber-Kriminalität als das viertgrösste Risiko, dem die Finanzmärkte heute ausgesetzt sind, gleich hinter geopolitischen Spannungen, Inflation und politischer Unsicherheit.
Die FMI müssen auch ihre operationelle Resilienz erhöhen, um sich auf die EU-Verordnung über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor (Digital Operational Resilience Act, DORA) vorzubereiten, die ab Januar 2025 in Kraft tritt und die Resilienz der Finanzinstitute gegen Bedrohungen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie stärken soll.
Digitalisierung – Es gibt kein Zurück
Die Digitalisierung gewinnt an Fahrt, wobei Finanzinstitute zunehmend disruptive Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) und Distributed-Ledger-Technologie (DLT) in ihre Betriebsmodelle und Produktpakete integrieren.
Die Digitalisierung ist laut Jos Dijsselhof eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die FMIs ihren Kundinnen und Kunden einen qualitativ hochwertigen Service bieten und gleichzeitig Spitzenkräfte halten und anziehen können.
Einige Diskussionsteilnehmer an der Sibos betonten, dass sie KI nutzen, um riesige Datensätze zu durchforsten und nützliche Analysen für Kundinnen und Kunden zu entwickeln, z. B. Erkenntnisse über die Gründe für gescheiterte Abwicklungen oder als Instrument zur Betrugsprävention.
Auch SIX verstärkt ihren Einsatz von KI. «Wir hatten eine Reihe von interessanten Gesprächen mit Kundinnen und Kunden, die unsere Display-Services nutzen. Sie wollten eine Lösung, mit der sie zwei verschiedene Aktien gleichzeitig vergleichen können. Im Anschluss an diese Gespräche haben unsere Technologieteams ein KI-Tool entwickelt, das den Nutzerinnen und Nutzern den Vergleich von Aktien in den Display-Services erleichtert», so Jos Dijsselhof.
SIX kann auf eine beeindruckende Erfolgsbilanz in Sachen Innovation zurückblicken: 2021 lancierte sie ihre digitale Börse SDX, eine FMI, welche die Emission, den Handel, die Abwicklung sowie die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten unterstützen soll. Wenn die Finanzdienstleistungsbranche mit den grossen Technologieunternehmen um die besten Talente konkurrieren wolle, sei es unabdingbar, sich auf disruptive Technologien einzulassen, so Jos Dijsselhof weiter.
Post-Trade-Harmonisierung – Die Odyssee geht weiter
Die Harmonisierung der europäischen Kapitalmärkte ist nach Ansicht der Referenten auf der Sibos Peking weiterhin lückenhaft.
Auf FMI-Ebene sind jedoch positive Fortschritte zu verzeichnen. Javier Hernani, Head of Securities Services bei SIX, betonte, dass Zentralverwahrer immer nach neuen und innovativen Wegen suchen, um die Effizienz für die Endnutzerinnen und -nutzer zu steigern.
«Bei SIX haben wir einen Schweizer Zentralverwahrer, einen spanischen Zentralverwahrer und einen digitalen Zentralverwahrer. Wir haben unsere Strategie so entwickelt, dass die Kundinnen und Kunden über uns entweder Zugang zur EU über ein Konto bei Iberclear in Spanien, zur Schweiz über SIX oder zu digitalen Wertpapieren bei SDX erhalten können. Die Branche muss sich jedoch zusammenschliessen, um die derzeitigen Verknüpfungen zwischen Zentralverwahrern in Europa in eine Art Autobahn umzuwandeln, damit die Menschen über ein Konto bei einem der EU-Zentralverwahrer leichter Zugang zu den Geldern der EU oder der Europäischen Zentralbank (EZB) haben», sagte er.
Dies erfolgt nicht lange nachdem der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi seinen mit Spannung erwarteten Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit Europas veröffentlicht hat, in dem unter anderem eine stärkere Konsolidierung der EU-Zentralverwahrer und Central Counterparty Clearing Houses empfohlen wird.
Es muss jedoch noch mehr getan werden. Es gibt eine Reihe von Post-Trade-Aktivitäten, die dringend harmonisiert werden müssen, wurde dem Sibos-Publikum gesagt.
Mehrere Diskussionsteilnehmer wiesen darauf hin, dass die Verfahren für die Eröffnung von Konten und die Aufnahme von Kundinnen und Kunden selten einheitlich sind. Dies führt häufig dazu, dass Verwahrstellen und Zentralverwahrer von ihren Kundinnen und Kunden weitgehend ähnliche Informationen, d. h. KYC-Dokumente, verlangen, jedoch in unterschiedlichen Formaten und Strukturen. Obwohl es in der Branche Versuche gab, ein zentralisiertes Dienstprogramm zur KYC-Unterstützung zu schaffen, ist dies noch nicht zustande gekommen.
Corporate Actions und Stimmrechtsausübung sind weitere Bereiche, in denen eine Standardisierung – insbesondere der zugrunde liegenden Daten – erforderlich ist.
«Bei Corporate Actions und Stimmrechtsausübung erhalten die Intermediäre in der Regel Daten aus verschiedenen Quellen, die oft nicht standardisiert sind, was sich in der weiteren Anlagekette erheblich auswirken und zu Risiken und Fehlern führen kann. Die Datenstandardisierung muss hier verbessert werden», sagte Javier Hernani.
Obwohl wiederholt eine Art EU-weite Steuerharmonisierung gefordert wurde, warnte Javier Hernani vor einem solchen Schritt und wies darauf hin, dass die Steuern auf Ebene der Mitgliedstaaten festgelegt werden sollten. Stattdessen schlug er vor, die Verfahren zur Rückforderung von Quellensteuern zu vereinheitlichen.
T+1 wird in Europa Realität
Obwohl es während des Migrationsprozesses einige operative Probleme gab, herrscht in vielen Kreisen Einigkeit darüber, dass die Einführung von T+1 in Nordamerika erfolgreich war.
In anderen Kreisen wächst jedoch die Besorgnis über die Erfolgsbilanz von T+1 in Nordamerika.
Obwohl die DTCC, die Securities Industry and Financial Markets Association (SIFMA) und das Investment Company Institute (ICI) in einer gemeinsamen Mitteilung hervorheben, dass die Bestätigungsquoten gestiegen, die Zahl der fehlgeschlagenen Transaktionen stabil geblieben und die Margining-Anforderungen gesunken sind, waren die Kosten für die notwendigen operativen Änderungen im Vorfeld von T+1 hoch und verschlangen viele interne Ressourcen.
Einige Referenten der Sibos sagten, die Schlagzeilen über die Kosteneinsparungen durch T+1 könnten etwas irreführend sein, wenn man bedenkt, wie viele Mitarbeitende im operativen Bereich mit den Vorbereitungen für die kürzeren Abwicklungszeiten beschäftigt waren.
Was bedeutet dies nun für Europa?
Im Gegensatz zu einigen der grossen nordamerikanischen Märkte ist die EU laut Javier Hernani weitaus komplexer, vor allem weil sie 27 Mitgliedstaaten, mehrere Währungen und Dutzende von FMI umfasst. Im Gegensatz dazu gibt es in den USA nur einen Zentralverwahrer, nämlich die DTCC, was die Einführung von T+1 sehr erleichtert hat.
Wenn der Übergang zu T+1 in ganz Europa – einschliesslich des Vereinigten Königreichs und der Schweiz – nahtlos erfolgen soll, muss es eine branchenweite Zusammenarbeit und eine entsprechende Beteiligung geben. Darüber hinaus riet Hernani den Regulierungsbehörden in Europa, T+1 nicht nur einheitlich, sondern auch so schnell wie möglich einzuführen.