Philomena Schwab
Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums in Gamedesign an der Zürcher Hochschule der Künste gründete Philomena Schwab zusammen mit Micha Stettler in Zürich das Gamestudio Stray Fawn. Nach erfolgreichem Crowdfunding setzte sie mit der Vorabversion von «Niche – a genetics survival game» 400’000 Franken um und landete auf der Forbes-Liste «30 unter 30 Europe: Technology».
Sie sind eine von 11 Frauen auf der Forbes-Liste «30 unter 30 Europe: Technology». Sind Sie von Stellenangeboten überhäuft worden?
Es gab Angebote, ja. Auch aus dem Silicon Valley. Aber hoffentlich nicht aufgrund der Tatsache, dass ich ein Frau bin. Da würde mir die Wertschätzung fehlen. Die individuellen Fähigkeiten und Leistungen sollten ausschlaggebend sein. Nur so verdient man sich auch den Respekt der anderen Mitarbeitenden. Und nur so werden Frauen auch in Technologiefirmen zur Normalität. Angenommen habe ich aber sowieso keines der Angebote. Nach Abschluss meines Studiums in Gamedesign an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK habe ich mit Stray Fawn Studio mein eigenes Unternehmen gegründet. Im Moment ist es mir wichtig, selbst für meine Erfolge – und für die Misserfolge – verantwortlich zu sein. Mit dem Commitment zum Standort Zürich will ich ausserdem die Gamebranche in der Schweiz stärken.
Gamedesign, was bedeutet das genau?
In einem kleinen Team wie bei uns übernehme ich als Gamedesignerin sehr viele verschiedene Aufgaben. Natürlich programmiere ich, natürlich mache ich Grafik. Ich überlege mir aber auch das Ziel und die Mechanik des ganzen Spiels und einzelner Levels: Was motiviert den Gamer? Wie bewege ich die Spielfigur? Was passiert, wenn ich da klicke? Was passiert, wenn ich hier klicke?
Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Kunst und Technologie. Hat das eine zum anderen geführt?
Zuerst wollte ich Kinderbücher illustrieren. Über die Comics fand ich dann zu den Computerspielen, den Games. Sie bieten meiner Meinung nach Möglichkeiten wie kaum ein anderes Medium: animiert, mit Ton und interaktiv. Ausreizen kann ich das nur, weil ich begann, mich auch mit dem technologischen Aspekt auseinanderzusetzen. Zu Beginn meiner Ausbildung an der ZHdK hatte ich mich noch davor gescheut. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie ein Game im Hintergrund funktioniert. Wie ein Kinderbuch entsteht, konnte ich mir vorstellen. Aber ein Game? Und nicht nur mir ging es so. Gerade auch die anderen Frauen in meiner Klasse – wir waren 6 bei insgesamt 15 Studierenden – wussten am Anfang wenig mit einem Sourcecode anzufangen. Heute arbeiten aber immerhin 3 von uns als Programmiererinnen – 1 davon sogar ausserhalb der Gamebranche.
Wie erklären Sie sich den Sinneswandel bei Ihnen und Ihren Kolleginnen?
Viele Designhochschulen stellen dich am Anfang vor die Wahl zwischen gestalterischem und technischem Studiengang. Entsprechend zeigt sich dort die typische Frau-Mann-Verteilung. Auch ich hätte mich in dieser Konstellation für die gestalterische Richtung entschieden. Glücklicherweise beschreitet die ZHdK einen anderen Weg. Jeder Studierende macht beides. Und manch eine – oder einer – findet so Gefallen an einem Gebiet, das er vorher gar nicht auf dem Radar hatte oder sich nicht zutraute. Der interdisziplinäre Ansatz der ZHdK führt übrigens auch dazu, dass in der Deutschschweizer Gamebranche Frauen und Männer ziemlich gleichmässig verteilt sind. International haben Frauen mit einem Anteil zwischen 15 und 20 % Nachholbedarf.
Niche – a genetics survival game
«Niche – a genetics survival game» ist ein Strategiespiel, das den Lebenszyklus einer Spezies simuliert. Das Ziel: Überleben. Der Spieler beginnt mit zwei zufällig generierten, fuchsartigen Tieren auf einer zufällig generierten, spielbrettartigen Insel. Er kämpft gegen Hunger, Klimaveränderungen, Krankheiten und Fressfeinde, indem er die Insel erkundet und sich die Vererbungslehre zu Nutze macht. Spätestens bevor eine Generation der Tiere den Alterstod stirbt, muss die nächste überlebensfähig sein – möglichst mit besseren Genen ausgestattet. Mit der Entwicklung von Niche begann Philomena Schwab bereits während ihres Studiums an der Zürcher Hochschule der Künste. Seit dem 21. September 2017 steht nun die finale Version zum Download bereit.
Auch in der Schweizer IT-Branche sind im Durchschnitt nur 14,6 % (EU: 16,1 %) der Angestellten weiblich. Was muss passieren, dass mehr Frauen sich für das Programmieren interessieren?
Das ZHdK-Beispiel zeigt, dass Interdisziplinarität junge Frauen dazu bringen kann, ihre Scheuklappen gegenüber der Technologie abzulegen. Damit wir aber in unserer Gesellschaft vom beruflichen Schubladendenken wegkommen, braucht es neben breit angelegten Ausbildungen auch unvoreingenommene Diskussionen im Elternhaus, neutrale Berufsberater und eine ausgewogene Medienberichterstattung.
Was bringen Ihrer Meinung nach speziell auf Frauen ausgerichtete Angebote?
Solange es noch die Barrieren in den Köpfen junger Frauen gibt, haben sie ihre Berechtigung. Ein Programmierkurs für Mädchen zum Beispiel bietet einen geschützten Rahmen. Niemand exponiert sich. In meiner Branche zeigen Förderprogramme wie «Woman in Games» gute Resultate. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Generation nach mir noch einmal weniger Berührungsängste hat als meine und solche geschlechterspezifische Initiativen bald nicht mehr nötig sein werden. Die Tochter der Programmiererin von heute wird auf jeden Fall nie auf die Idee kommen, dass Technologie nichts für Frauen ist.
Können auch Games wie Niche helfen, junge Frauen für das Programmieren zu begeistern?
Niche ist ein Strategiespiel, das auf den Gesetzen der Genetik basiert. Im Grunde geht es darum, seine Spezies vor dem Aussterben zu bewahren, sie zu hegen und zu pflegen. Insofern hatten wir – selbst nicht frei von Schubladendenken – erwartet, speziell die weibliche Zielgruppe anzusprechen. Tatsächlich gefällt Niche beiden Geschlechtern gleichermassen. Das sehen wir auch in den «Let’s Play»-Videos, wo sowohl Männer wie Frauen Niche live kommentieren, während sie es spielen. Ich glaube aber schon daran, das Games die technische Neugier wecken können – bei beiden Geschlechtern. Von der Faszination für ein Game bis zum Wunsch, selbst eines zu entwickeln, ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Und wer schon mal ein Game programmiert hat, hat auch schon einen Fuss in der Tür zur IT-Branche.
Die Zeiten, in denen Lehrer, Eltern oder Politiker Games pauschal verteufelten, sind ja auch vorbei.
Zum Glück. Es gibt mittlerweile so viele pädagogisch wertvolle Games. Lehrer haben angefangen, ihren Schülern Prozesse mittels des Games Minecraft zu erklären. Wir selbst planen, eine Educational Version von Niche im Lizenzmodell an Schulen zu verkaufen – für den Biologieunterricht. Die Simulation, das Selbermachen hat meines Erachtens riesige Vorteile gegenüber dem Frontalunterricht. Gerade amerikanische Schulen haben das bereits erkannt.
Let's Play
Den meistabonnierten Kanal auf YouTube betreibt der Schwede Felix Arvid Ulf Kjellberg. Noch nie gehört? Er ist besser bekannt unter dem Namen PewDiePie. Immer noch nicht? Das mag daran liegen, dass es sich bei den 57 Millionen Abonnenten seiner Webvideos vor allem um Computerspielfans handelt. Statt selbst zu spielen, schauen diese aber lieber ihm dabei zu.
Das Phänomen heisst «Let’s Play» und ist mittlerweile integraler Bestandteil der Game-Kultur. Die zum Teil sehr unterhaltenden Live-Kommentare von PewDiePie und anderen «Let’s Play»-Stars erklären deren Erfolg nur teilweise. Die Videos bieten den Zuschauern auch Entspannung und ersetzen das Spielen, wenn sie selbst dafür zu müde sind. Ausserdem dienen sie als Entscheidungsgrundlage für den Kauf eines neuen Games oder schüren die Vorfreude darauf. Für die Gameproduzenten wie Philomena Schwabs Stray Fawn Studio sind die Videos gleichzeitig Gratiswerbung und Feedbackkanal. Sowohl die Live-Kommentare der «Let’s Player» wie auch die Online-Kommentare der Zuschauer geben wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung eines Games.
Werden Sie Abonnent von RED und verpassen Sie keine Inhalte aus unserem preisgekrönten Unternehmensmagazin.
Jetzt abonnieren