Wenn Schweizer Unternehmen an die Börse gehen, tun sie das auch ab und zu in den USA statt auf ihrem Heimmarkt. Seit dem Jahr 2000 fanden etwas mehr als 10 % aller Börsengänge von Schweizer Unternehmen in den USA statt. Doch das ist nicht ein schweizerisches Phänomen, sondern ein europaweites. Ein Börsengang an einer US-Börse kann durchaus Sinn machen, sei es aufgrund des Geschäftsmodells, wegen der (grösseren) Visibilität, einer Bewertungsdifferenz oder wegen des Zugangs zu einem spezifischen Kreis von Investierenden. Jedoch gibt es einige Faktoren, die man beachten sollte, damit der Entscheid sich am Ende nicht als kontraproduktiv entpuppt. SIX hat die Aspekte einer Kotierung in der Schweiz und in den USA gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Homburger in einer Publikation erarbeitet. Das sind die fünf wichtigsten Punkte:
1. Die Kosten
Die Kosten für einen Börsengang in der Schweiz sind einiges tiefer als in den USA. In der Schweiz hängt die Höhe der Gebühren für die Kotierung und die fortlaufende Aufrechterhaltung von der Marktkapitalisierung des Unternehmens ab, während in den USA die Anzahl Aktien entscheidend ist. Speziell für kleinere Unternehmen kann dieser Unterschied beträchtlich sein.
Vergleich (ohne regulatorische Gebühren) für die wichtigsten Kotierungssegmente der Börsen, d.h. SIX Swiss Exchange Hauptsegment, Nasdaq Global Select Market und NYSE, die nicht zwischen verschiedenen Kotierungssegmenten unterscheiden. Bei SIX Swiss Exchange hängen die Kotierungs- und Aufrechterhaltungsgebühren von der gesamten Marktkapitalisierung ab, während sie an den US-Börsen von der Anzahl der ausstehenden Aktien abhängen. In allen Fällen gilt eine Gebührenobergrenze.
Die Zeichnungsgebühr, üblicherweise der grösste Kostenpunkt bei einem Initial Public Offering (IPO), beträgt in der Schweiz circa 2 bis 5 %, in den USA circa 3,5 bis 7 %. Die Kosten für Rechts- und Steuerberatung in den USA sind für ein Schweizer Unternehmen ebenfalls höher, da mindestens eine amerikanische sowie auch eine Schweizer Anwaltskanzlei mandatiert werden muss. Folglich müssen mindestens vier Anwaltskanzleien involviert (und bezahlt) werden.
2. Die Risiken
Zwischen 2010 und 2019 war jeder sechste IPO an einer US-Börse Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten – mit einem besonders hohen Risiko von Sammelklagen. Das Risiko entsteht, sobald ein Unternehmen vor einem Börsengang seine Dokumente potenziellen Investierenden präsentiert. Jede ungenaue Angabe und jedes Versäumnis in diesen Dokumenten kann zu einer Klage führen. Bei einem Börsengang in der Schweiz können Personen, die an der Erstellung dieser Dokumente beteiligt waren, zwar auch haftbar gemacht werden, jedoch sind die Anforderungen für eine erfolgreiche Klage in der Schweiz um einiges höher. Und: Sammelklagen, die kostspielig sein können, sind im Schweizer Gesetz gar nicht verankert.
Fallbeispiel: Snap Inc., bekannt durch ihre Instant-Messaging-App Snapchat, sah sich mit einer Sammelklage konfrontiert, weil das Unternehmen potenzielle Investierende vor dem IPO nicht ausreichend über die Konkurrenz durch Instagram informiert habe. Letztendlich einigte man sich auf eine Abfindung von 187,5 Millionen US-Dollar.
3. Die Visibilität
2021 war ein Rekordjahr für die US-Börsen – mit mehr als 1000 IPOs. 2022 waren es gut 180 und 2023 noch 154. Trotz der starken Abnahme in den letzten zwei Jahren bleibt die IPO-Dichte im Vergleich zur Schweiz mit jeweils einer Handvoll IPOs pro Jahr hoch. Der US-amerikanische Markt ist also um einiges grösser, jedoch gehen dadurch auch viele Börsengänge in der Masse unter – vor allem diejenigen von kleineren Unternehmen. Folglich ist es für ein in den USA kotiertes Unternehmen herausfordernder, aus der grossen Masse hervorzustechen, und der Wettstreit um Kapital entsprechend intensiver.
4. Der Zugang zu Investierenden
Der Zugang zu einem internationalen Kreis von Investierenden ist in beiden Ländern gegeben. Der US-amerikanische Kapitalmarkt gilt als der grösste und liquideste der Welt. Dementsprechend gross und divers ist auch die Basis der Anlegenden. Jedoch ist die Schweiz in diesem Punkt auch nicht zu unterschätzen und bietet sowohl Zugang zu einem gut kapitalisierten Kreis von Schweizer Investierenden, als auch vielen internationalen Anlegenden, die in eine der weltweit stabilsten und vertrauenswürdigsten Währungen investieren wollen: den Schweizer Franken. Darunter befinden sich auch viele Investorinnen und Investoren aus den USA. Eine Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) von 2019 hat ergeben, dass damals rund 35 % der bekannten Stimmrechte des SMI Expanded von US-Anlegenden gehalten wurden.
5. Das Rechtliche
IPOs an einer US-Börse unterliegen den US-amerikanischen Wertpapiergesetzen und -vorschriften, insbesondere dem US Securities Act von 1933 und dem US Securities Exchange Act von 1934. Vor einem IPO muss das Unternehmen eine Registrierungserklärung bei der Securities and Exchange Commission (SEC) einreichen und den potenziellen Investierenden einen Prospekt gemäss dem Securities Act zur Verfügung stellen. Schweizer Unternehmen gelten in den USA in der Regel als «ausländische, private Emittenten» und müssen deshalb das Formular F-1 zur Registrierung bei der SEC einreichen, typischerweise ein langer Prozess, während dessen viele Marketingaktivitäten verboten sind. Zusätzlich hat die SEC üblicherweise viele Kommentare zum Registrierungsdokument, die vom Management adressiert werden müssen. In der Schweiz beschränkt sich die Kommentierung eines Prospekts im Sinn des Bundesgesetzes über Finanzdienstleistungen (Fidleg) auf Vollständigkeit, Abwesenheit von Inkonsistenzen und Verständlichkeit.
Das Wichtigste? Eine sorgfältige Prüfung
Die USA locken unter Umständen mit höheren Bewertungen von Unternehmen. Das hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass diverse europäische Unternehmen in den Vereinigten Staaten an die Börse gingen. Wer an die Börse will – egal wo – sollte die Entscheidung strategisch treffen und die Vorteile und Risiken sorgfältig abwägen.
Es gibt eine Reihe von Gründen für Unternehmen, ihre Aktien in der Schweiz anstatt im Ausland zu kotieren. SIX hat dazu gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Homburger eine Publikation erarbeitet, die die wichtigsten Aspekte im Detail beleuchtet.