“Gleichberechtigung ist ein Schlüsselfaktor für eine nachhaltige Entwicklung.”

“Gleichberechtigung ist ein Schlüsselfaktor für eine nachhaltige Entwicklung.”

Impact Investing ist im Trend. Als spezifische Form des Impact Investing fokussiert Gender Lens Investing auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Inklusion von Frauen in der Wirtschaft. Wie beeinflusst dieses Thema die Finanzindustrie? Was kann Gender Lens Investing in Wirtschaft und Gesellschaft bewirken? Und zahlt es sich für Investoren aus? SIX diskutierte diese Frage mit drei Experten auf einem Panel in Zürich.

Gender Lens Investing: Was ist das?

Karina Storinggaard: Gender Lens Investing meint eine themenbezogene Investition, eine Investition, die man durch die Linse der Geschlechtergleichberechtigung betrachtet und sich mit dieser Betrachtung im Hinterkopf dafür oder dagegen entscheidet. Wenn Sie die Gender Linse anwenden, werden Sie viel Potenzial für neue Geschäftsmodelle und neue Märkte entdecken. Sie werden aber auch bemerken, dass wir immer noch ziemlich voreingenommen sind, und in punkto Gleichberechtigung längst noch nicht da, wo wir eigentlich sein wollten.
 

Worauf genau sollte ich achten?

Karina Storinggaard: Es gibt drei Schlüsselbereiche bzw. drei «Linsen» (engl.: Lenses), die man anwenden kann. Die erste fokussiert auf weibliche Gründerinnen. Weltweit erhalten Frauen nicht den Zugang zu Kapital, den sie eigentlich suchen. Gegenwärtig gehen nur 2 bis 6 Prozent des Risikokapitals an Gründerinnen. Es gibt also eine riesige Kreditlücke, vor allem in den Entwicklungsländern. Dabei zeigen Untersuchungen, dass Frauen das in sie investierte Geld für ihre Familien und für den Aufbau eines Business ausgeben. Wenn man wirtschaftlich und sozial etwas bewirken möchte, ist es also eine kluge Entscheidung, Frauen den Zugang zu Kapital zu ermöglichen.

Die zweite Gender-Linse, die Sie einsetzen können, fokussiert auf Produkte, die Chancengleichheit fördern. Beispielsweise haben 200 Millionen weniger Frauen als Männer ein Mobiltelefon. Aus einer unternehmerischen Perspektive ist das ein Markt. Gleichzeitig ist es aber auch eine Möglichkeit, Frauen auf der ganzen Welt unabhängiger zu machen, und ihnen die Möglichkeit zu geben, ein Geschäft zu gründen. Ebenso können Sie nach Produkten suchen, die auf weibliche Investoren zugeschnitten sind. Männer und Frauen investieren unterschiedlich viel. Das beeinflusst auch Wirtschaft und Gesellschaft, z. B. über die Renten.

Der dritte Schlüsselbereich, den man durch die Gender-Linse betrachten kann, ist Diversität in der Unternehmensführung. Unternehmen mit einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis schneiden finanziell besser ab. Seit zwanzig Jahren gibt es dazu Untersuchungen und jedes Jahr kommen neue dazu. Es ist also vernünftig, in Unternehmen mit einer diversen Führungsebene zu investieren. Inzwischen haben wir dafür auch die entsprechenden Finanzprodukte.
 

Apropos Finanzprodukte: Welche Rolle spielen Diversität und Gleichberechtigung heute in der Finanzindustrie?

Marion Leslie: Wenn es um Diversität und Gleichstellung geht, hat sich das Engagement in den Unternehmensspitzen deutlich verändert: Verwaltungsräte und CEOs verpflichten sich, den Wandel in einer Organisation persönlich voranzutreiben. Eine Reihe von Ländern hat auch Regulierungen oder freiwillige Kodizes eingeführt. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass Diversität im Vorstand nicht nur die finanzielle Leistung einer Organisation steigert, sondern auch Corporate Governance und Risikomanagement verbessert. Jetzt wurde 2020 die erste weibliche CEO an die Wall Street berufen. Und während wir vor einem Jahrzehnt noch 150 rein männliche Verwaltungsräte im britischen FTSE 350 hatten, sind es heute nur noch zwei. Als frischen Wind empfinde ich jedoch besonders die Tatsache, dass es heute nicht mehr darum geht, Frauen «besser zu machen», wie es der Fall war als ich in der Branche angefangen habe. Es geht heute darum, ein System zu verbessern, das für eine andere Ära geschaffen wurde und das sich nur auf einen Teil der Bevölkerung fokussiert.
 

Ist Diversität und Gleichstellung ein relevantes Thema für Impact Investoren?

Dr. Tillmann Lang: Ja, auf jeden Fall. Das «Evergreen-Thema», in das unsere Kunden bei Yova investieren, ist der Klimawandel: Weit mehr als 95 Prozent unserer Anleger interessieren sich für den Klimawandel und machen ihn zu einem wichtigen Teil ihres Portfolios. Aber Geschlechtergleichberechtigung ist als Anlagethema stark im Kommen. Ich denke, das hängt damit zusammen, wie viel die Menschen über das Thema wissen. Wie Karina eingangs schon beschrieben hat: Chancengleichheit ist eines der wichtigsten Kriterien für eine nachhaltigere Entwicklung.
 

Dennoch ist Gender Lens Investing noch nicht zum Mainstream geworden. Warum?

Karina Storinggaard: Nun, ein Grund dafür ist, dass uns auf Unternehmensebene viele Jahre die Daten fehlten, um zu evaluieren, wo das Geschlechterverhältnis tatsächlich ausgewogen ist oder wer Initiativen zur Förderung von Gleichstellung ergriffen hat. Erst in den letzten Jahren hat sich die Datenlage verbessert. Ein anderer Grund ist, dass Gleichstellung offensichtlich ein sehr emotionales und schwierig zu bearbeitendes Thema ist. Und es passt nicht zu der Art, wie wir bisher investieren, nämlich sehr kurzfristig. Gender Lens Investing ist langfristig. Sie werden da nicht schon im nächsten Quartal eine Performance sehen.

Dr. Tillmann Lang: Entgegen der landläufigen Meinung sind Investoren auch nicht ganz so rational. Die Daten sprechen für Gender Lens Investing, und der Investment Case scheint eindeutig. Das bedeutet aber noch nicht, dass die Menschen tatsächlich investieren. Es gibt viele Beispiele für irrationales Anlegerverhalten. So gehört es beispielsweise zum Einmaleins des Investierens, zu diversifizieren, eine langfristige Perspektive einzunehmen und nicht zu versuchen, den Markt zu timen. Selbst viele sachkundige Anleger halten sich aber nicht an diese Grundregeln und haben dann nur Kosten und eine unterdurchschnittliche Performance. Es ist wichtig, Studien zu lesen. Aber es reicht nicht aus, um eine kritische Masse zu erreichen. Über die verhaltenstheoretische Begründung könnten wir wahrscheinlich einen ganzen Abend lang diskutieren.

Marion Leslie: Den grössten Einfluss haben aber meines Erachtens Vermögensverwalter und institutionelle Investoren. Sie haben erkannt, dass der Business Case eine diverse Führungsstruktur stützt, weil dies bessere Geschäftsergebnisse und eine bessere Corporate Governance zur Folge hat. Sie unterstützen deshalb zunehmend den gesellschaftlichen Imperativ. Sie werden gegen Organisationen stimmen, welche die Vielfaltskriterien ihrer Investment Policy nicht erfüllen, oder sogar aktiv desinvestieren. Einige Vermögensverwalter treffen sogar die C-Suite, um den veröffentlichten Diversitätsdaten auf den Zahn zu fühlen. Wenn der weltgrößte Vermögensverwalter einen solchen Ansatz verfolgt, kann das eine grosse Wirkung haben.
 

Wie kann man institutionellen Investoren solche Entscheide einfacher machen?

Marion Leslie: Wie divers ist die Führung eines Unternehmens, welchen CO2-Fussabdruck hinterlässt es, wie ethisch ist seine Lieferkette? Gegenwärtig gibt es keine standardisierten, zuverlässigen Daten, die dazu branchenübergreifende Vergleiche ermöglichen. Daten über die Nachhaltigkeit eines Unternehmens müssen so zugänglich und maschinenlesbar sein wie Finanzberichte – und öffentlich sichtbar wie die Aktienkurse, die im SIX Hauptgebäude über die Tickerwand laufen. Ja, wir haben Nachhaltigkeitsindizes wie z. B. den SXI Switzerland Sustainability 25; wir haben Social Media Sentiments und Analysen von Unternehmensberichterstattung. Aber wir haben keine objektiven, unabhängigen, konsistenten, standardisierten Daten. Die UN Sustainable Development Goals, der EU-Aktionsplan und die Regulierung im Bereich nachhaltiger Finanzen gehen alle in diese Richtung: Sie fördern eine bewusste, datengestützte Entscheidungen, welche die Wirksamkeit, aber auch die Verantwortlichkeit erhöhen. Hinter solchen Entscheidungen stehen immer Daten. Doch im Moment ist das noch ein Chaos. Es gibt keine Standardisierung, keinen Audit und damit auch nicht nur eine Wahrheit. Das wird sich ändern.
 

Wie kann ich denn sicher sein, dass ich mit meiner Investition die beabsichtigte Wirkung erzielt habe oder auf lange Sicht erzielen werde?

Dr. Tillmann Lang: Der Einfluss eines Unternehmens auf seine Umwelt ist messbar. Investoren können beurteilen, ob sie mit ihrer Investition oder als Aktionär auf eine Veränderung hingewirkt haben. Sie können sich vergewissern, dass es in die von Ihnen beabsichtigte Richtung geht. Was Sie nicht vollständig beurteilen können, ist wie genau Ihre Investition zu dieser Veränderung beigetragen hat. Da wirken einfach zu viele Kräfte. Natürlich treiben Investoren den Wandel, insbesondere wenn sie mit dem Top-Management zusammenarbeiten und durch Aktionärsabstimmungen. Aber Veränderungen sind auch marktgetrieben, zum Beispiel dann, wenn Kunden nach Produkten verlangen, die ihren Werten entsprechen. Auch Regulierung ist ein Treiber für den Wandel. Gemeinsam bewirken all diese Mechanismen eine Veränderung. Investitionen sind ein wichtiger Teil im Gesamt-Mix. Sie können aber nicht isoliert betrachten, zu wieviel Prozent genau Investitionen, Verbraucher, Märkte oder Regulierung den Wandel beeinflusst haben.
 

Erhalten Investoren eine Rückmeldung, was sie bewirkt haben?

Dr. Tillmann Lang: Man kann ihnen einen Hinweis auf die Wirkung und Nachhaltigkeitsleistung ihrer Investitionen geben. Man kann zum Beispiel aufzeigen, wie klimabelastet ein Portfolio im Vergleich zu einem Benchmark ist, und ob die Unternehmen im eigenen Portfolio schneller vorankommen, wenn es darum geht, CO2 zu reduzieren. Auch eine Reihe anderer indikativer Messgrössen lässt sich aufzeigen. Es bleibt aber eine Indikation und ist keine genaue Messung. Letztlich ist es der eigene Lebensstil, der zum persönlichen Fussabdruck beiträgt. Die Investitionen spielen da zwar eine wichtige Rolle, sind aber nur ein Teil des Ganzen.