Gegenwärtig ist es aber leider wenig transparent, wie die ESG-Kriterien genau gemessen werden, denn es werden hauptsächlich die internen Kosten sowie die Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit beurteilt. Um jedoch die gesellschaftlichen Ziele der ökologischen Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit zu erreichen – wovon der erwähnte Stakeholder-Kapitalismus ja träumt – müssen neue ESG-Messgrössen entwickelt werden. Einerseits braucht es Kriterien, welche die Konsumentinnen und Konsumenten miteinbeziehen und ihnen dabei helfen, die ESG-Ziele zu verfolgen. Andererseits sind auch «externe» ESG-Kriterien notwendig, welche die Auswirkungen von Unternehmen auf ihr Umfeld, in welchem sie tätig sind, messen können.
Im Hinblick auf ESG-Kriterien für Konsumentinnen und Konsumenten gibt es immerhin bereits einige recht erfolgreiche Beispiele, die hoffentlich anderen den Weg weisen werden. Reisetätigkeiten und private Haushalte verbrauchen generell am meisten Energie und Ressourcen. Deshalb sind die Unternehmen in diesen beiden Bereichen am meisten interessiert daran, etwas zu unternehmen. Nachfolgend möchten wir einige Beispiele dafür anführen.
Ant Forest (von Alibaba) ist eine Mobiltelefon-App, über welche Bäume in abgeholzten Gebieten gepflanzt werden können. Dazu muss man zum Beispiel zur Reduzierung von Transportemissionen beitragen, das papierlose Büro vorantreiben oder nachhaltige Produkte kaufen. Ant Forest knackt demnächst die Grenze zu einer Milliarde User und hat bereits Millionen von Bäumen gepflanzt. Ausserdem hat die App dazu geführt, dass die User ihre reisebedingten CO2-Emissionen um 8,6% reduziert haben.
OPower (von Oracle) misst den Energieverbrauch von Privathaushalten und gibt Hausbesitzern Rückmeldungen zu ihrem Energieverbrauch. Bereits dieses Feedback allein führte ohne zusätzliche Anreize zu einer Reduzierung von 3-5% des Energieverbrauchs in amerikanischen Haushalten.
Bereits seit einigen Jahren floriert die Impact-Tech-Startup-Szene. Doconomy – ein schwedisches Impact-Tech-Startup – zeigt beispielweise den Verbraucherinnen und Verbrauchern auf, wie sich ihre Transaktionsaktivitäten auf ihren CO2-Fussabdruck und somit auf die Umwelt auswirken (Åland-Index ). Zudem gibt das Unternehmen Handlungsempfehlungen ab, wie man das persönliche Konsumverhalten ändern kann. Mit der zunehmenden Entwicklungsreife von Open-Banking-Lösungen müssen Banken und andere Anbieter von Zahlungslösungen schnell handeln und ihre Dienstleistungen an die sich verändernden Kundenwerte anpassen.
Neben der Einbindung von Konsumentinnen und Konsumenten zur Erreichung der ESG-Ziele ist es auch wichtig, die Auswirkungen eines Unternehmens auf das Umfeld zu messen, in welchem dieses tätig ist. Die UNO-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals SDGs) beinhalten ESG-ähnliche Kriterien zur Messung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Verhalten von Gemeinden (an deren Erstellung einer der Autoren dieses Artikels übrigens beteiligt war). Nationale Statistikabteilungen in verschiedenen Ländern haben angefangen, Statistiken zu erheben, die den Regierungen und internationalen Hilfsorganisationen dabei helfen, ihre Bemühungen zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele gezielter zu gestalten.
Die SDG-Kriterien können jedoch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit von Unternehmen auf ihr Umfeld nicht genügend messen. Die Entwicklung von «externen» ESG-Kriterien, welche die Aktivitäten eines Unternehmens mit dem Wohl und der Nachhaltigkeit ihres Umfeldes in Verbindung bringen, ist ein entscheidender, aber bisher leider vernachlässigter Teil der ESG-Messung von Unternehmen. Es tun sich hier spannende Möglichkeiten auf, wie externe ESG-Kriterien entwickelt werden könnten. So zum Beispiel mit den Methoden, die OPower zur Messung des Energieverbrauchs in den einzelnen Haushalten verwendet (z.B. statistische Analyse und Mustererkennung von Energiedaten eines Versorgungsunternehmens in Kombination mit Daten von Drittanbietern). Solche externen ESG-Kriterien könnten Unternehmen und Investoren dabei helfen, sich in dem Umfeld, in dem sie tätig sind, nachhaltiger zu verhalten.
Damit das Ziel von nachhaltigeren wirtschaftlichen Entwicklungen und Projekten erreicht werden kann, ist es entscheidend, über die richtigen ESG-Daten zu verfügen und diese auf transparente und nachvollziehbare Weise zu nutzen. Mit der Entwicklung von geeigneten ESG-Kriterien und Nutzungsparametern können wir diese Welt zu einem viel besseren Ort machen – für uns und für zukünftige Generationen.
Alex Pentland
Alex Pentland ist Professor am renommierten MIT und leitet dort das MIT Connection Science Programm. Zuvor hatte er am Aufbau des MIT Media Lab mitgearbeitet. Er ist ein Pionier auf dem Gebiet der computergestützten Sozialwissenschaften und ein führender Kopf im Bereich Datenschutz. Er war bereits in diversen Ausschüssen für die UNO, Google und AT&T tätig und ist Mitglied der US National Academies.
Julinda Gllavata
Julinda Gllavata arbeitet seit über sieben Jahren für SIX. In ihrer derzeitigen Funktion leitet sie das Data Science-Team der Business Unit Banking Services. Bevor Julinda zu SIX wechselte, arbeitete sie für verschiedene internationale Unternehmen wie Accenture, Bosch und OMRON. Ihr Bildungsweg führte sie von Albanien nach Deutschland, wo sie im Jahr 2000 ihr Doktorat in Informatik begann. Der Schwerpunkt ihrer Dissertation lag auf der Anwendung von maschinellen Lernverfahren in der Bildverarbeitung und Mustererkennung.