In Zürich sind die Wege kurz. Auch der Weg in die Zukunft. Nur wenige Hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt entsteht zurzeit BRIDGE, das Shopping-Erlebnis von morgen. BRIDGE ist das neuste Einkaufs- und Gastroprojekt von Migros, der nationalen Nummer eins im Detailhandel, wie der Einzelhandel in der Schweiz heisst.
Der «spannendste Ort für den Schweizer Detailhandel», so bezeichnet ihn die «Handelszeitung», öffnet Anfang April 2021 seine Tore gleich neben Google, dem Zukunftsunternehmen schlechthin. Auf 2000 Quadratmetern werden sich viele Antworten auf die Frage finden lassen, wie sich der stationäre Detailhandel in den nächsten Jahren entwickeln wird.
Auch SIX ist dieser Frage nachgegangen und hat dazu das White Paper «Future of Brick-and-Mortar Commerce» erarbeitet. «Gemäss den einschlägigen Studien erwarten wir, dass im Jahr 2030 die Detailhändler weltweit 40 % ihres Umsatzes online erwirtschaften. 2019 waren es noch 16 %», sagt Alexander Verbeck, Head Cash Ecosystem in der Geschäftseinheit Banking Services von SIX. «Gleichzeitig wird der stationäre Detailhandel seine Berechtigung behalten, denn manchmal geht nichts über die Erfahrung in der realen Welt», so Alexander Verbeck weiter. Geschäfte könnten vor allem dann bestehen, wenn sie Erlebnisse bieten würden, «in die man nur vor Ort in vollem Umfang und mit allen Sinnen eintauchen kann».
BRIDGE wird genau diese Erlebnisse bieten. Wer will, kann sich das Steak von der Fleischtheke gleich vor Ort grillieren lassen. Dank TableSnappr, der App eines Drittanbieters, findet es auf direktem Weg zum Sitzplatz. Noch mehr Individualität gefällig? Das Food-Lab bietet vier modulare Küchen zur Miete an – zum Beispiel für eine Koch-Challenge unter Freunden.
Der Detailhandel ist tot, es lebe der Detailhandel
Die Diskussion um die Zukunft des stationären Detailhandels ist kontrovers. «Brick-and-Mortar Is Dead. Let’s Open a Store», titelte die «New York Times» vor Kurzem folgerichtig. Einerseits lässt sich seit geraumer Zeit beobachten, wie in Innenstädten ein Geschäft ums andere schliesst – das sogenannte Ladensterben. Laut einer Studie der Credit Suisse gab es 2013 knapp 53’000 Verkaufsstellen in der Schweiz, Ende 2018 waren es noch rund 50’000. Andererseits eröffnen immer mehr Unternehmen Geschäfte an bester Lage, besonders solche, die aus dem Online-Handel kommen. Digitalpionier Steve Jobs lancierte 2001 den ersten Apple Store, heute gibt es 510 davon. Auch Amazon, Google, Facebook und viele mehr experimentieren mit neuartigen Detailhandelsformaten. Der dänische Spielzeughersteller Lego will in China innerhalb von zwei Jahren über 100 zusätzliche Geschäfte eröffnen.
White Paper «Future of Brick-and-Mortar Commerce»
Das White Paper «Future of Brick-and-Mortar Commerce» von SIX präsentiert die Zukunft des stationären Detailhandels für die Jahre 2027 bis 2030. Im wahrscheinlicheren von zwei Szenarien geht SIX davon aus, dass Läden weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben werden, wenn auch in veränderter Form. Fast jeder Laden wird ein digitales Schaufenster benötigen und sein Angebot noch stärker auf Komfort, Geschwindigkeit und Personalisierung ausrichten müssen. Darüber hinaus werden emotionale Erlebnisse, in die der Konsument vor Ort mit allen Sinnen eintauchen kann, seine Überlebenschancen immens steigern. Der Konsument wird einen reibungslosen, kaum mehr spürbaren Zahlungsprozess erwarten, mit einer Vielzahl möglicher Zahlungsmittel. Indem Händler und ein Netz aus anderen Konsumenten als dezentrale Ausgabestellen integriert werden, wird in diesem Zusammenhang auch Bargeld weiterhin eine Rolle spielen.
Zurück zu BRIDGE: Was sind neben den Erlebnissen die Erfolgsfaktoren, um gegenüber dem Online-Handel zu bestehen? «Der Detailhandel der Zukunft braucht mehr Kooperationen», sagt David Böhler, Projektleiter BRIDGE bei Migros, «das drückt schon unser Name aus. Wir schlagen eine Brücke zwischen Einkaufen und Gastronomie, zwischen Migros und externen Anbietern. Wir wollen eine ganz eigene Erlebniswelt für Foodkultur kuratieren.»
Gemäss dem White Paper von SIX sind gerade Pop-ups dafür geeignet, den Konsumenten die «überraschenden, neuartigen, exklusiven, Instagram-tauglichen und persönlichen Shopping-Erlebnisse» zu bieten, die immer wichtiger werden. Die ersten Besucher von BRIDGE werden dank zwei Pop-ups auch verschiedene Köstlichkeiten aus Peru geniessen können. Pop-ups würden ausserdem Immobilienbesitzern helfen, nicht ausgelastete Flächen zu monetarisieren, so Alexander Verbeck. Er nennt als Beispiel einen Buchladen, der nach Sonnenuntergang zu einem Yoga-Studio wird.
Bei David Böhler ist die Freude an der Detailhandels-Welt von morgen bei jedem Satz spürbar. Und das klingt dann so: Die Aussicht auf die Gleise ist eine «top view», das Essen wird «geshared», Projekte müssen «agile» sein, die Weiterentwicklung ist ein «forever prototyping», beim Käseverkauf ist das «storytelling» zentral, BRIDGE soll der «third place» werden, der Lieblingsort neben dem Zuhause und dem Büro. Das mögen viele Buzzwords sein, doch das Konzept von BRIDGE wirkt durch und durch authentisch. Das hat auch mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun, ein Aspekt der im White Paper von SIX eine ebenso grosse Bedeutung hat wie für David Böhler: «Wir machen so viel bio, lokal und vegetarisch wie nur möglich», sagt er auf die Produkte bezogen. Und die Dekoration entsteht aus wiederverwerteten Materialien von Offcut. Das Schweizer Netzwerk sammelt Gebraucht- und Restmaterialien und macht daraus neue Rohstoffe.
Nachhaltig und hochwertig
Der Nachhaltigkeitsanspruch zieht sich bis zu den Regalen des klassischen Lebensmittelverkaufs durch – auch die wird es bei BRIDGE geben. Das Sortiment wird hochwertig sein, die Budgetlinie von Migros komplett fehlen und 30 % des Sortiments, vorwiegend von Kleinproduzenten, finden sich in keinem anderen Migros-Geschäft. Was hingegen auf den ersten Blick erstaunt, ist die Grösse und die Lage dieses Bereichs: kaum grösser als ein Tankstellenshop, im zweiten Stock. «Pure Absicht», erklärt David Böhler, «der emotionslose Einkauf, bei dem es nur um das schnelle Auffüllen des Kühlschrankes geht, wird mehr und mehr automatisiert, zumindest in dicht besiedelten Gebieten. Dafür braucht es uns nicht.» Dereinst würden wir bei einer Tasse Kaffee unseren Einkauf auf dem Smartphone zusammenstellen – sowie bezahlen – und die volle Einkaufstüte beim Verlassen des Geschäfts mitnehmen. «Aber das ist noch Zukunftsmusik.» Doch ist es das wirklich?
Im Westen von Deutschland, in Düsseldorf, erklingt diese Zukunftsmusik auf jeden Fall schon ziemlich laut. Ende 2020 hat hier der erste Laden von TYPY eröffnet, wobei «Laden» eigentlich der falsche Ausdruck ist, denn das Geschäft ist eine edle Abholstation, mit Sitzgelegenheiten, Kaffeeautomaten und grossen Screens – auf 40 Quadratmetern.
Bezahlen als Katalysator
TYPY bietet einen Grundstock an Lebensmitteln, Fertigmenüs, Wein und Kaffee an. Effizienter geht es fast nicht: Die Konsumenten suchen sich ihre Produkte auf dem Smartphone aus und bezahlen mobil. Dann holt ein Roboter die Biomilch, den Quinoa-Wrap und eine Flasche Côtes-du-Rhône aus dem Gestell und bringt alles in einen Abholterminal. Dieser Einkauf ist komplett kontaktlos, geschieht ohne menschliches Zutun und dauert keine zwei Minuten. Gerade genug Zeit, um einen qualitativ hochstehenden Kaffee zu bestellen – natürlich auch direkt in der App.
«Frictionless», reibungslos, heisst diese Form der Bezahlung im White Paper von SIX. Der Check-out läuft so selbstverständlich ab wie nach einer Fahrt mit Uber. Der Hauptfokus liegt auf Convenience. «Die Zeiten, in denen man mit dem Einkaufswagen durch Regalschluchten kurvte, sind definitiv vorbei», sagt Maximilian Grönemeyer, Mitgründer von TYPY. «Einkaufen muss heute schnell und bequem vonstattengehen.» In Zukunft will TYPY auch mit Kurierdiensten kooperieren, die die Produkte nach Hause liefern.
Das Start-up aus Düsseldorf erfüllt damit vier wichtige Attribute, die gemäss dem White Paper von SIX entscheidend sind, um im stationären Handel weiterhin erfolgreich zu sein: Digitalisierung, Komfort, Geschwindigkeit und Personalisierung. Der Bezahlvorgang wird dabei zum Katalysator für zusätzliche Dienste wie zum Beispiel Produktvorschläge aufgrund digitaler Kaufbelege, Tischreservationen im Restaurant oder die Authentifizierung des Kunden unabhängig des Geschäfts, wo er sich gerade befindet.
Die Zukunft des Detailhandels bringt neue Geschäftsmöglichkeiten für Banken
- Pop-up-Marktplatz
Banken könnten auf einer Plattform Detailhändler und Pop-up-Anbieter zusammenbringen. Sie könnten Ratings anbieten, sich um Verträge sowie Versicherungen kümmern oder Co-Finanzierungen orchestrieren.
- Kaufberatung
Banken könnten Kontoinformationen mit Kaufinteressen verknüpfen. Sie könnten Budgetabwägungen der Konsumenten erleichtern, Finanzierungsmöglichkeiten aufzeigen oder Nachhaltigkeitsüberlegungen mit Daten aus der Vermögensberatung stützen.
- Datentresor
Banken könnten als sicherer Ort für Konsumentendaten fungieren. Sie könnten Nutzerpräferenzen (z. B. Social Media Posts, Likes oder Produktbewertungen), aber auch biometrische Daten speichern und wieder zur Verfügung stellen.
- Zahlungsmittel
Banken könnten Zahlungen mit einer Vielzahl verschiedener «Währungen» ermöglichen. Sie könnten nicht nur Kryptowährungen, sondern auch virtuelles Geld aus Games oder Daten (z. B. Social Media Posts) in den Zahlungsprozess integrieren.
- Authentifizierung
Banken könnten ihre Kompetenz in der Überprüfung von Identitäten nutzen. Sie könnten eine App zur Zwei-Faktor-Authentifizierung anbieten, die ladenübergreifend den Check-out-Prozess vereinfacht.
- Bargeldlieferung
Banken könnten Bargeld «on demand» zur Verfügung stellen. Sie könnten den gewünschten Betrag an einem beliebigen Geldautomaten reservieren, bei einem Händler freigeben oder nach Hause liefern.
TYPY hat Symbolcharakter, der Eröffnung wohnten der Düsseldorfer Bürgermeister und der Digitalbeauftragte des Bundes bei. Für die Gründer ist es erst der Anfang, «ein voll funktionierender Prototyp, den wir am offenen Herzen testen», so Maximilian Grönemeyer. 200 weitere Verkaufsstellen wollen er und sein Mitstreiter Carlo Caldi in den nächsten drei Jahren eröffnen. Dazu zählen auch ganz kleine Formate wie Container auf Universitäts- oder Werksgeländen. Fragt man Maximilian Grönemeyer nach Vorbildern, antwortet er selbstbewusst: «Unser Konzept ist weltweit einmalig.»
In Zürich und in Düsseldorf hat die Zukunft des Detailhandels schon Einzug gehalten. In dieser Zukunft haben Ladenlokale ihren Platz neben dem Online-Handel gefunden und verhindern, dass unsere Innenstädte zu Bürowüsten werden.
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