1. Die Zukunft des Zahlungsverkehrs kennt nur Gewinner.
Klar hat die digitale Revolution in anderen Branchen grosse Erfolgsgeschichten geschrieben. Untrennbar damit verbunden ist der Aufstieg von Marken, die vor wenigen Jahrzehnten noch niemand kannte: Apple, Amazon, Tesla. Doch es gab auch Verlierer – der «Kodak-Moment» hat es sogar in die Alltagssprache geschafft. Er steht sinnbildlich für einen Wandel, der zu spät oder gar nicht eingeleitet wurde. Es scheint sehr unwahrscheinlich, dass die Welt des Zahlungsverkehrs davor gefeit ist.
2. Gut, ist die Schweiz ein sicherer Hafen.
Solange die Filiale der wesentliche Zugangspunkt für Kundinnen und Kunden war, konnten die Banken im Schutz der Schweizer Grenze relativ sorgenfrei existieren. Heute wollen die Kundinnen und Kunden ihre Geldgeschäfte aber digital tätigen, über ihr Smartphone. Sie können sich auch bei Finanzdienstleistern jenseits der Grenze in weniger als fünf Minuten anmelden und Leistungen beziehen. Und damit nicht genug: Apple, Samsung, Revolut und Co. sind in der Schweiz aktiv – und viele weitere BigTechs und FinTechs werden folgen.
3. Da können wir mithalten.
BigTechs und FinTechs verfügen über Plattformen, die über Landesgrenzen hinweg Skaleneffekte erzeugen. Anders gesagt: Sie sind im Kostenvorteil. Wichtiger aber ist, dass sie digital gross geworden sind. Sie haben – frei nach Henry Ford – nicht erst schnellere Pferde vor die Kutsche spannen müssen. Sie haben gleich richtige Autos gebaut. Gerade die junge Kundschaft liebt das. Die Angebote sind intuitiv nutzbar – mobil und jederzeit. Das Smartphone löst die Bankfiliale als primären Zugangspunkt ab
4. Wir lernen das schon noch.
Durchaus möglich. Aber vielleicht nicht nötig. Hier greift eine weitere Entwicklung: die «API-Fizierung». APIs, Application Programming Interfaces, sind Schnittstellen zwischen Programmen. Falls standardisiert, sind deren technische Spezifikationen für alle gleich und öffentlich zugänglich. Das ergibt neue Möglichkeiten der Verbindung. Google Maps wird heute in fast jede Website integriert – via API. Auch Banken können sich so die Dienste von Dritten sichern. So gibt es zum Beispiel Anbieter von digitalen Verfahren zur Kundenidentifikation oder zur Echtheitsprüfung von Dokumenten. Die Bank muss diese Verfahren nicht selbst entwickeln, sondern kann sie beziehen «as a service».
5. Immerhin behalten wir die Konten.
Achtung, «as a service» geht auch andersherum. Nehmen wir als Beispiel einen grossen Detailhändler. Der will seiner Kundschaft künftig auch Konten anbieten. Zahlungen für Einkäufe, Ratenkredite und die Teilnahme am Bonusprogramm sollen damit möglich sein. Muss dieser Detailhändler eine Bank gründen und eine Lizenz der Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA erwerben? Nein. Er kann sich einen Account Provider suchen, der ihm diese Leistungen «as a service» zur Verfügung stellt – über APIs. Mittlerweile bieten einige Neo-Banken in Europa solche Leistungen exklusiv für Nicht-Banken an – für Detailhändler, aber auch für andere Unternehmen wie Autohäuser, Versicherungen und Krankenkassen. Das Konto verlässt die Bank, wird Teil der Leistungskette Dritter und erscheint bei den Kundinnen und Kunden meist unter deren Marke. Die Bank verschwindet aus dem Blickfeld.
6. Aber nicht gleich heute und morgen.
Das gibt es schon. In Deutschland verkauft Samsung Smartphones, auf denen eine Banking-App vorinstalliert ist. Samsung arbeitet mit der Solarisbank zusammen. Diese liefert Samsung Bankkonten «as a service». Die Eröffnung dauert weniger als fünf Minuten – und schon lässt sich mit Samsung Pay zahlen. Interessierte Unternehmen finden neben Konten inzwischen ein ganzes Universum an Leistungen zur Erweiterung ihres Angebots: Bonitätsabfragen, Ratenkredite, Loyalitätsprogramme, Quittungsablage – alles lässt sich «as a service» beziehen und in das eigene digitale Angebot einfügen: für die Kundinnen und Kunden – ohne separate Antragsformulare, digital, nahtlos.
7. Also verlieren wir den Anschluss.
Nein. In den letzten Jahren wurden viele wegweisende Entwicklungen angestossen. Die umfassende Einführung von ISO 20022 war der Startschuss für Konsolidierungen und einen Digitalisierungsschub. Allein für das Jahr 2020 lässt sich eine eindrückliche Bilanz ziehen: die Konsolidierung der Schweizer Plattformen für Clearing und Settlement und für die Schweizer E-Rechnung eBill sowie der erfolgreiche Start der QR-Rechnung und die Umstellung von 6000 Bancomaten auf eine einheitliche Betriebssoftware. Ausserdem: bLink, die API-Plattform von SIX, ging mit den ersten Anwendungsfällen in Betrieb und TWINT meldete im Herbst mehr als drei Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Ausserdem stehen Instant Payments in den Startlöchern. Ein beschleunigter Strukturwandel ist klar erkennbar – aber noch ist offen, wer als Sieger und wer als Verlierer daraus hervorgehen wird.
Dieter Goerdten
Als Head Products & Solutions in der Geschäftseinheit Banking Services von SIX ist Dieter Goerdten seit Sommer 2018 verantwortlich für die Entwicklung des Angebots im Zahlungsverkehr. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren für Schweizer Banken an der Entwicklung und Lancierung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Die Schwerpunkte seiner Arbeit bei SIX liegen auf neuen Angeboten für die Bargeldversorgung, für Debit und Mobile Services sowie für Billing-Lösungen. Ausserdem verantwortet er mit seinem Team die Entwicklung der Open-Finance-Plattform bLink. Vor seiner Tätigkeit im Finanzwesen arbeitete er jeweils zehn Jahre für die Deutsche Lufthansa und die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika und Afrika. Er hat Volkswirtschaft an der Universität Hamburg studiert und einen Master of Advanced Studies der FH Nordwestschweiz in Corporate Finance.