Grosses Gähnen bei Podiumsgästen, gelangweilte Blicke bei Apéros, Präsentationen jeweils am Schluss einer Konferenz. Vertreter von FMIs hatten es nicht immer leicht, wenn sie über ihre Themen diskutieren wollten. Wer könnte es dem Publikum auch verdenken? Der Begriff "Finanzmarktinfrastrukturbetreiber" geht einem ja nun wirklich nicht gerade leicht über die Lippen. Aber die Zeiten haben sich geändert! Heute eröffnen dieselben Vertreterinnen und Vertreter von FMIs Konferenzen, sie sind Hauptreferenten und gern gesehene Interviewgäste. Und seit es den Begriff FinTech gibt, hat jedermann eine ungefähre Vorstellung davon, was ein FMI überhaupt ist. Warum also ist unser Tun plötzlich viel interessanter für unsere Branche geworden und warum stehen wir immer mehr im Rampenlicht?
Meines Erachtens gibt es fünf Gründe, welche FMIs zu mehr Beachtung verholfen haben und dies auch weiterhin tun werden:
1. Die Branche ist erfolgreich
Die Finanzmarktinfrastruktur umfasst alle Aktivitäten, die mit Börsenaktivitäten zusammenhängen. So zum Beispiel Listing, Handel und Nachhandel (Clearing und Settlement). Darüber hinaus umfasst sie das immer wichtiger werdende Geschäft mit Finanzinformationen, also alle aus dieser Wertschöpfung resultierenden Daten. Insgesamt generiert die FMI-Branche weltweit einen Umsatz von 155 Milliarden Schweizer Franken. Und sie wächst weiter. Seit 2012 liegt das jährliche Umsatzwachstum weltweit bei 5% und in Europa bei 3%. Auch die Gewinne in der Branche sind äusserst attraktiv. FMIs haben seit 2012 eine durchschnittliche Aktionärsrendite von 20% erzielt. Gerade Banken zum Beispiel können mit solchen Ergebnissen nicht mithalten. Sie bewegten sich im gleichen Zeitraum jeweils etwa um 0%.
2. Hochgradig skalierbares Geschäftsmodell
Die Finanzmarktinfrastruktur ist seit jeher ein klassisches Plattformgeschäft. Dank Digitalisierung und neuer Technologien können diese Plattformen nun endlich auf vollen Touren laufen. Die Skaleneffekte sind einzigartig. Wenn eine Plattform erst einmal aufgebaut ist und läuft, generieren grössere Volumen nur sehr geringe Zusatzkosten. Bei Interesse verweise ich auf meinen letzten Artikel, in welchem das Geschäftsmodell detaillierter beschrieben wird.
3. FMIs begünstigen das Wachstum
Wachsende Unternehmen brauchen Kapital, verlässliche Daten sowie eine zeitnahe und zuverlässige Zahlungsabwicklung. Genau hier kommen wir ins Spiel. Es braucht nämlich effiziente FMIs, damit dieses Wachstum überhaupt erst möglich wird. Woher bekommt man sonst eine faire Bewertung eines Aktienkurses und kann so den Wert eines Unternehmens beurteilen? Wie können Unternehmen sonst ihr weiteres Wachstum durch die Aufnahme von zusätzlichem oder die Ausgabe von frischem Kapital effizient finanzieren? Und schliesslich: Wer sorgt sonst für die Lieferung von verlässlichen Daten? In anderen Worten: Ohne SIX und weitere FMIs hätten Unternehmen – ja, eigentlich ganze Volkswirtschaften – keine Möglichkeit zu wachsen
4. Nützliche Regulierungsmassnahmen
Für einmal ist Regulierung eine gute Sache für unsere Branche. Man traut sich ja kaum, es laut zu sagen, aber die MiFID-Richtlinie und die EMIR-Verordnung der EU sowie die beiden Schweizer Gesetze FIDLEG und FINIG haben unserem Wachstum grossen Schub verliehen, da diese Regulierungsmassnahmen das Geschäft auf regulierte Plattformen verlagern. Ohne Regulierung kein Vertrauen – ohne Vertrauen keinen Nutzen.
5. Starke Widerstandsfähigkeit
Die Pandemie, hochvolatile Märkte und ein globaler Wertewandel haben die FMIs im Jahr 2020 rund um die Welt bis an ihre Grenzen gefordert und teilweise beinahe überfordert. Trotz dieser extremen Volatilität haben sich die FMIs als äusserst widerstandsfähig erwiesen. Wir von SIX haben eindrucksvoll bewiesen, dass wir den heutigen Herausforderungen gewachsen sind. Die von uns betriebenen Börsen in der Schweiz und in Spanien haben im März und April 2020 tagtäglich rekordhohe Volumen ohne irgendwelche Kapazitäts- oder Systemprobleme abgewickelt. Unsere Börsen haben nicht nur Banken bedient, sondern die gesamte Wirtschaft – und die ist auf effiziente und funktionierende Märkte angewiesen.
Zusammengefasst dürfen wir hier und heute feststellen, dass die Finanzmarktinfrastruktur eine hochspannende Branche ist. Und das Tollste daran: Die besten Zeiten kommen erst noch! Kriterien wie modernste Technologien, digitale Assets, intelligente Daten, Vertrauen und Zuverlässigkeit – um nur ein paar wenige zu nennen – erlangen immer grössere Bedeutung. FMIs werden deshalb sicherlich noch eine ganze Weile im Rampenlicht bleiben.
Jos Dijsselhof
Seit Januar 2018 ist Jos Dijsselhof CEO von SIX. Der Niederländer verfügt über einen Abschluss in Computerwissenschaft sowie Betriebswirtschaft und hat langjährige internationale Managementerfahrung in der Finanzbranche. Sein beruflicher Werdegang führte ihn für die ABN Amro Bank, die Royal Bank of Scotland und die ANZ Australia&New Zealand Banking Group unter anderem nach Hongkong und Singapur. Vor seinem Stellenantritt bei SIX war Jos Dijsselhof von 2014 bis Juni 2017 als Chief Operating Officer und 2015 als CEO ad interim bei Euronext in Amsterdam tätig.