ESG-Daten für einen besseren Blick aufs grosse Ganze

ESG-Daten für einen besseren Blick aufs grosse Ganze

Alternative Daten ermöglichen Anlegern, Unternehmen auch nach nichtfinanziellen Aspekten zu bewerten. ESG-Daten erleichtern zum Beispiel das Anlegen gemäss nachhaltigen Kriterien – dem Trend der Stunde.

Geschäftsleute, die über die soziale Verantwortung reden würden, seien «ahnungslose Marionetten der intellektuellen Kräfte, die die Basis einer freien Gesellschaft untergraben haben.» Nein, dieses Zitat stammt nicht aus einem wütenden präsidialen Tweet. Es ist 50 Jahre alt und zeigt, dass die Diskussion um die soziale Verantwortung von Unternehmen nichts Neues ist. Gleichzeitig illustriert es, wie die Stimmung fundamental gedreht hat: Ein Ökonom, der so etwas schreibt, würde heute kaum noch einen Nobelpreis gewinnen wie damals Milton Friedman. Das Zitat stammt aus seinem Aufsatz «The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits».

Um Geld anzulegen, gab es schon immer unterschiedliche Kriterien. Doch vom Kleinanleger bis zur milliardenschweren Pensionskasse stand in der Vergangenheit der finanzielle Ertrag meist im Vordergrund. Heute gilt das nicht mehr zwingend, wie Schlagzeilen und Kommentare aus den letzten Monaten zeigen: So verkündete Goldman Sachs, keine Börsengänge mehr durchzuführen für Unternehmen mit rein männlichen Verwaltungsräten. Die Investmentabteilung von State Street wiederum plant, gegen Verwaltungsräte grosser Unternehmen zu stimmen, die in Bezug auf Nachhaltigkeitsstandards hinterherhinken.

«Wir stehen an der Schwelle zu einer grundlegenden Transformation der Finanzwelt», schreibt gar Larry Fink, der Chef von BlackRock, in seinem viel beachtetem jährlichen Brief an CEOs. Er fährt fort: «In naher Zukunft – und früher als von den meisten erwartet – wird es zu einer erheblichen Umverteilung von Kapital kommen.» Die «Harvard Business Review» schliesslich prophezeit nichts Geringeres als eine «Anlegerrevolution».

 

Nachhaltiges Anlegen erlebt einen nie gekannten Boom. Das entsprechende Anlagevolumen werde auf über USD 20 Billionen oder auf einen Viertel aller professionell verwalteten Vermögen weltweit geschätzt, schreibt die Wirtschaftszeitung «Forbes». Die nachhaltigen Anlagen tragen verschiedene Attribute: «Impact», «sustainable, «value-based», «mission-driven» oder «green» sind nur einige davon. Als Dachbegriff hat sich die Abkürzung ESG etabliert. Sie steht für «environmental, social and corporate governance» (Umwelt, Soziales und Führungsqualität). Das Ziel: Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Wirkung eines Investments messbar machen.

Der Begriff ESG wurde 2004 bekannt durch einen Report der UNO mit dem schönen Namen «Who Cares Wins». Kofi Annan, der damalige UN-Generalsekretär, lud die CEOs der 50 wichtigsten Finanzinstitute ein – 21 machten schliesslich mit –, um ein Rahmenwerk zu schaffen, das die Integration von ESG in die Kapitalmärkte definiert. Der Schlussbericht, von der Schweizer Eidgenossenschaft mitfinanziert und -herausgegeben, fasst die Erkenntnisse zusammen.

Ist damit alles geregelt, um nachhaltiges Anlegen zu ermöglichen? Nein. Die grösste Herausforderung liegt heute darin, Unternehmen nach ESG-Standards zu bewerten. Und das ist keine triviale Aufgabe wie die  «Harvard Business Review» kommentiert: Die Datenlage fühle sich noch immer an «wie der Wilde Westen», auch wenn bezüglich Qualität und Verfügbarkeit grosse Fortschritte gemacht worden seien.


Der boomende Vermögenswert «Daten»

Dass dieser Wilde Westen demnächst gezähmt wird, darf bezweifelt werden. Doch er wird sich stark verändern: Zumindest die Verfügbarkeit wird kein limitierender Faktor mehr sein, ganz im Gegenteil. Die Menge an ESG-Daten nimmt exponentiell zu, wie auch die Anzahl Datenanbieter stark anwachsen wird. Diese Prognosen stellt das kürzlich erschienene White Paper von SIX «Data, the Future of Financial Information». Es untersucht die spektakuläre Entwicklung des boomenden Vermögenswerts «Daten» mit Fokus auf die Finanzwelt. Für die Welt in zehn Jahren ziehen die Autoren diese Schlussfolgerung: «Ausser der enormen Bedeutung der Daten scheint nichts mehr so zu sein wie in der Vergangenheit.»

Die grösste Änderung betrifft die erwähnte Zunahme der Datenfülle, speziell bei den sogenannten alternativen Daten. Der Begriff steht in Abgrenzung zu traditionellen Finanzdaten, welche die Unternehmen selbst als Teil ihrer Berichterstattung veröffentlichen: Umsatz, Gewinn, Schuldenlast, ausstehende Verbindlichkeiten und so weiter. Im Gegensatz dazu sind alternative Daten meist keine Finanzdaten, sondern betreffen beispielsweise den Verkehr, das Wetter, die Kommunikation oder den Energieverbrauch. Sie können aus verschiedensten Quellen stammen wie Social Media oder Satellitenbilder, Verkehrsteilnehmer oder Sensoren. Diese Daten enthalten entweder selbst interessante Informationen oder sie erlauben es, bestehende Daten neu auszuwerten.

Klingt abstrakt? Ein konkretes Beispiel: Foursquare ist eine App, bei der die Nutzer virtuell «einchecken», wenn sie sich an Orten aufhalten wie einem Flughafen oder einem Restaurant. Vor ein paar Jahren konnte der CEO von Foursquare so die Quartalszahlen einer Restaurantkette ziemlich genau voraussagen. Der Umsatzeinbruch um 30 Prozent hatte sich im Verhalten der App-Nutzer bereits abgezeichnet.  

Das Beispiel illustriert, warum in der Finanzwelt alternative Daten derzeit so hoch gehandelt werden. So schreibt der «Economist », diese bärgen das Potenzial, den Wissensvorsprung auszugleichen zwischen Unternehmens- Insidern und normalen Anleger. In Blogs ist zu lesen, wie man mit alternativen Daten «den DAX schlagen» könne, für die Privatbank Pictet sind «alternative Daten der Schlüssel zu mehr Alpha in der Zukunft », also zu mehr Rendite. Und das Finanz-Marktforschungsunternehmen Optima schätzt den Markt für alternative Daten bereits auf USD 7 Milliarden für 2020.


Individueller Nachhaltigkeitsindikator

Für die Erhebung von ESG werden alternative Daten besonders wichtig. «Das grösste Hindernis für Investitionen ist, dass sich die meisten Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen nicht an Anleger, sondern an andere Stakeholder richten», so die «Harvard Business Review ». Bis heute fehlen ESG-Daten meist in den Quartals- und Jahresberichten. Vordringlicher Grund dafür sei übrigens nicht, dass die Unternehmen diese Daten nicht publizieren wollen, sondern dass sie diese schlicht nicht erheben oder nicht erheben können.  

In der Zukunft wird es diese Einschränkung nicht mehr geben. Das White Paper von SIX sieht eine Welt voraus, in der die Informationsmenge und -tiefe fast keine Grenzen mehr kennt und in der Anleger ihre Investitionen ganz nach den eigenen Präferenzen zusammenstellen können: Ein Anleger möchte vielleicht nur in Unternehmen investieren, die sich stark für Gleichstellung einsetzen, eine Anlegerin setzt sich für den Umweltschutz und den Klimawandel ein. Andere Anleger möchten Waffen- oder Kohleunternehmen vermeiden.  

Kostenloses Webinar zu SFDR

SIX hilft ihren Kunden dabei, regulatorische Vorschriften einzuhalten. Dazu stellen wir Daten zur Verordnung der Sustainability Related Disclosure Regulation (SFDR) und der EU-Taxonomy bereit. Weitere Informationen finden Sie in unserem Webinar.

«Das zunehmende Bedürfnis von Anlegern nach ethischen Investitionen, die Fortschritte bei Data Science sowie die Innovationen zeigen unmissverständlich, dass alternative Daten und insbesondere ESG-Daten weiter an Bedeutung gewinnen werden », sagt Marion Leslie, Head Financial Information bei SIX. Sie betont: «Es ist jedoch wichtig, dass diese Daten mit den zentralen Referenzdaten verbunden werden. Andernfalls sind sie bedeutungslos. »

Zurück zu Milton Friedman, dem Wirtschaftsnobelpreisträger, der meinte, Unternehmen hätten nur eine Verantwortung und die laute, Wert für das Aktionariat zu schaffen. Unter Umständen wäre der Amerikaner ESG gar nicht so kritisch gegenübergestanden, wie man meinen könnte: Verschiedene Studien zeigen nämlich, dass Unternehmen, die sich um die ESG-Kriterien bemühen, systematisch besser abschneiden als solche, die dies nicht tun. Etwas drastisch brachte Mark Carney diesen Gedanken auf den Punkt. Der ehemalige Governor der Bank of England ist überzeugt:  «Unternehmen, die sich nicht an den Klimawandel anpassen, werden Konkurs gehen.»