Bargeldversorgung: 4 strategische Bilanzen auf dem Weg in die Zukunft

Die Schweiz ist auf dem Weg zur Cash-Light-Gesellschaft. Der Anteil kartenbasierter und mobiler Bezahlvorgänge steigt wie in allen hochentwickelten Ländern rapide an. Die Geschäftseinheit Banking Services von SIX zieht viermal Bilanz auf dem Weg zur zukünftigen Strategie für die Bargeldversorgung.

1. Zahlungsmittel vs. Wertaufbewahrung

Untersuchungen von SIX aus dem Jahr 2019 zur Anzahl der Transaktionen an den Geldautomaten in der Schweiz haben gezeigt, dass innerhalb der nächsten fünf bis sieben Jahre Bargeld seine zentrale Rolle als Zahlungsmittel verlieren wird. Laut unserem White Paper «Future of Money» beträgt der prognostizierte Rückgang 40 bis 70 %. 

Analysen von Januar 2021 bestätigen diese Entwicklung nicht nur, sie werten vielmehr die Einschätzungen von 2019 nach rund einem Jahr Covid-19 als eher konservativ. Alleine im Jahr 2020 sind die Bargeldbezüge an den Geldautomaten um rund 40 % gesunken.

Gleichzeitig bleibt die Bedeutung des Bargelds für die Gesellschaft unbestritten hoch. In Krisenzeiten dient es als Wertaufbewahrungsmittel. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) beobachtet, dass Bargeld seit 2008 als Wertaufbewahrungsmittel wieder an Relevanz gewinnt. Sie führt die erhöhte Nachfrage nach Banknoten generell auf das anhaltend tiefe Zinsniveau zurück und führt weiter aus, dass die Finanzmarktkrise und die Staatsschuldenkrise zu einer erhöhten Attraktivität der Bargeldhaltung beigetragen haben. Das bestätigte sich auch in der Covid-19-Krise: Nachdem der Schweizer Bundesrat über die Auswirkungen der Pandemie berichtet hatte, stieg laut SNB die Bargeldhaltung merklich an.

2. Bargeldversorgung vs. Kosten

Bargeld ist also ein wichtiger Vertrauensanker für die Bevölkerung. Der ungehinderte Zugang zu Bargeld ist damit trotz seiner abnehmenden Bedeutung als Zahlungsmittel eine gesellschaftlich relevante Aufgabe. Nach wie vor sind Geldautomaten die beliebteste Bezugsquelle für Bargeld in Europa. Als Betreiber der Geldautomaten stehen die Banken angesichts geringerer Bargeldtransaktionen vor der Herausforderung, ihre Infrastruktur auch in Zukunft wirtschaftlich zu betreiben. Denn geringere Transaktionsvolumina führen aufgrund der Fixkosten unmittelbar zu steigenden operativen Kosten pro Transaktion.

In der Schweiz und Liechtenstein gibt es rund 7000 Geldautomaten, 6000 davon werden von den Banken betrieben, die so genannten Bancomaten. Aufgrund der eingangs erwähnten Zahlen drängt sich die Frage nach einer redimensionierten Infrastruktur auf. Ein solches Vorhaben erfordert nach Überzeugung des Beratungsunternehmens McKinsey eine ganzheitliche Betrachtung aller Standorte sowie die Berücksichtigung aller Einflussfaktoren. Dazu gehören transaktionsbasierte Kosten wie Kartengebühren, standortspezifische Kosten für Strom, Wartung und Betrieb sowie für die IT und das Backend. Diese holistische Sichtweise ist der Schlüssel, um die Kostentreiber in der Infrastruktur zu identifizieren und zu eliminieren und auf diese Weise die Versorgungssicherheit mit Bargeld bei effizientem Ressourceneinsatz gewährleisten zu können.

Laut einer Studie von Senozon aus dem Jahr 2021 im Auftrag von SIX würden im Sinne einer Idealverteilung 2160 Bancomaten an 1160 Standorten die Schweiz optimal abdecken. 90 % der Schweizer Bevölkerung könnten dort innerhalb von höchstens 20 Minuten – zu Fuss oder per Öffentlichen Verkehr – Bargeld abheben und einzahlen. Die heutige Bancomat-Infrastruktur liesse sich so um bis zu zwei Drittel reduzieren.

40% 40%
weniger Bargeldbezüge an Bancomaten im Jahr 2020.
6’000 6’000
Bancomaten betreiben Banken in der Schweiz heute.
2’160 2’160
Bancomaten würden die Schweiz ideal abdecken.

3. Dezentral vs. zentral

Redimensionierung ist das eine, Effizienz das andere. Schweizer Banken haben zusammen mit SIX den Transaktionskostenanstieg bereits frühzeitig antizipiert und im Jahr 2017 ein Optimierungsprojekt gestartet. Im Auftrag der Banken hat SIX mittels Einführung einer einheitlichen Multivendor-Software die Dienstleistungen am Bancomaten standardisiert und damit die IT-Umsetzungskosten reduziert, den Hardware-Einkauf für alle Banken gebündelt und wertschöpfende Services wie das ATM Monitoring optimiert.

Diesen frühzeitig eingeschlagenen Weg der Zentralisierung von Einkauf und Service hat SIX inzwischen konzeptionell weiterentwickelt. Aktuell baut SIX angesichts der neuen Bedrohungslage durch logische Attacken und Cyberangriffe auf die Geldautomat-Infrastruktur einen zentralen, bankenübergreifenden ATM Security Service auf. Ein weiterer Ausbauschritt wird das effiziente ATM Cash Management sein. Die Banken würden hierbei ihre Geldautomaten zwar selbst betreiben – und blieben damit auch Eigentümer des Bargeldes –, können aber im Sinne von Software-as-a-Service das zentral von SIX angebotene ATM Cash Management nutzen. Ergänzend dazu könnten sie im Sinne eines Business Process Outsourcings auch das gesamte ATM Cash Management an SIX übergeben. SIX würde damit zum Single Point of Contact rund um die Bewirtschaftung der Geldautomaten für die Banken werden.

Konsequent umgesetzt könnte das bedeuten, dass die Geldautomaten in Zukunft einem Infrastrukturanbieter gehören und im Sinne eines ATM Poolings zentral betrieben werden – ähnlich wie das in den Niederlanden, Belgien oder Skandinavien bereits der Fall ist. Um für die Schweiz eine bedarfsgerechte Lösung zu entwickeln, hinterfragt SIX zusammen mit interessierten Banken Szenarien auf drei verschiedenen Ebenen:

  1. Wie wirkt sich die Abschaltung redundanter Geldautomaten auf einen Standort und dessen Umgebung bezüglich Bargeldversorgung aus?
  2. Wie reagieren Kundinnen und Kunden auf das Verschwinden von bankeigenem Branding an bestehen bleibenden Standorten?
  3. Wie reagieren Kundinnen und Kunden auf ein bankneutrales Branding an bestehen bleibenden Standorten?

Schon jetzt kann gesagt werden, dass ein klares Commitment aller Banken die Grundvoraussetzung für den Erfolg eines solchen Pooling-Modells ist.

 

4. Versorgung vs. Kreislauf

Um die Zukunft der Bargeldversorgung sicherzustellen, braucht es aber noch mehr als eine optimal dimensionierte Geldautomat-Infrastruktur und ein ATM Pooling. Denn die Banken sind nicht der einzige Akteur im Bargeldkreislauf. Die Aufrechterhaltung der Bargeldversorgung auf nationaler Ebene ist eine branchenübergreifende Herausforderung, in deren Bewältigung alle Bargeldakteure eingebunden werden müssen. Es braucht ein modernes Ökosystem, die sogenannte «Circular Cash Economy».

Damit wäre ein zentraler Infrastrukturbetreiber dauerhaft gefordert, neben der Geldautomat-Infrastruktur auch alle anderen Schnittstellen zu betrachten und auf Optimierungspotenziale hin zu überprüfen. Das betrifft insbesondere die Beziehungen zwischen dem Detailhandel und den Banken. Dazu gehört auch, die sich wandelnden Anforderungen an das Bargeld seitens der Konsumentinnen und Konsumenten zu analysieren, in den Lösungskonzepten zu berücksichtigen und adäquat zu bedienen.

SIX hat sich intensiv mit der Zukunft des stationären Handels auseinandergesetzt und im White Paper «Future of Brick-and-Mortar Commerce» unterschiedliche Szenarien entworfen, die Orientierung in einer sich von Grund auf transformierenden Branche bieten. Als wahrscheinlichstes Szenario nimmt SIX an, dass sich eine hybride Struktur durchsetzen wird. In dieser sind Detailhändler sowohl stationär als auch online präsent und bieten ihren Kundinnen und Kunden auf diese Weise an allen Kontaktpunkten besondere, auf die persönlichen Präferenzen hin abgestimmte Einkaufserlebnisse an.

Dazu kann künftig auch gehören, dass die Konsumentinnen und Konsumenten ohne Portemonnaie, Kreditkarte usw. in einen Laden gehen und einkaufen. Sie bezahlen mit biometrischen Daten wie dem Gesicht, mittels eines virtuellen Tresors, der über ein sicheres Netzwerk von überall zugänglich ist. Ebenfalls denkbar sind Läden mit einer Self-Scanning und Self-Checkout-Lösung. Für Detailhändler bedeuten diese Zukunftsszenarien, dass die Transaktionskosten für das Bargeldhandling immer weiter steigen. Auch in diesem Kontext kann ein zentraler Infrastrukturanbieter bedarfsgerechte Angebote schaffen, die helfen Kosten zu senken. Dazu könnten auch gemeinhin unbeliebte Services gehören, zum Beispiel im Zusammenhang mit Münzgeld.

Sogar die Konsumentinnen und Konsumenten selbst könnten in die Circular Cash Economy miteinbezogen werden. Eine solche «Crowd-Augmented Cash Infrastructure» würde ohne grossen Abdeckungsverlust eine weitere Verringerung der Anzahl Geldautomaten ermöglichen und in weiteren Kostensenkungen resultieren.