ESG-Fonds haben im letzten Jahr bemerkenswerte Kapitalzuflüsse erfahren. Trotz der COVID-19-Pandemie und entsprechend volatiler Finanzmärkte stieg das verwaltete Vermögen nachhaltiger Fonds in 2020 laut Financial Times auf 1,7 Billionen US-Dollar. Das entspricht im Jahresverlauf einem Anstieg von 50 %. Und der Boom geht weiter: Bereits in den ersten drei Monaten 2021 hatten die in globalen Nachhaltigkeitsfonds verwalteten Vermögen die 2-Billionen-Dollar-Marke überschritten, so Morningstar. Auf der passiven Seite könnte das Vermögen der börsengehandelten ESG-Fonds (ETFs) laut Bloomberg bis zum Jahresende mehr als 190 Milliarden US-Dollar betragen – weitere 1 Billion Dollar werden voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren in diese Anlageklasse fliessen.
Während nachhaltige Anlagen hauptsächlich in Europa boomen, holen Asien und die USA langsam auf. "Hier in Spanien beobachten wir vor allem eine rege Aktivität bei nachhaltigen Anleihen", sagt Gonzalo Gómez Retuerto, Leiter Fixed Income bei den spanischen Börsen von SIX (BME), die sowohl regulierte als auch alternative Märkte für festverzinsliche Wertpapiere bieten. Nachhaltige Anleihen, also Instrumente, mit deren Erlös die Emittenten grüne und soziale Programme finanzieren, sind laut Bloomberg im vergangenen Jahr weltweit um 81 % auf 68,7 Mrd. US-Dollar gestiegen. Weil Regierungen und Unternehmen viel Geld zur Bekämpfung der Pandemie aufgenommen haben, hat insbesondere die Emission sozialer Anleihen zugenommen: Das ausgegebene Volumen hat sich auf 147,7 Mrd. US-Dollar um den Faktor 7 vervielfacht.
Was aber macht solche Anlageprodukte für Investoren interessant? Lesen Sie im Folgenden drei Faktoren, die den Kapitalfluss in ESG-Anlagen stärken.
Drei Faktoren, die den Kapitalfluss in ESG-Anlagen stärken:
1. Performance
«ESG-Anlagen performten in den letzten 34 Monaten deutlich besser, wenn man sie mit den Renditen von Nicht-ESG-Anlagen vergleicht", sagt Jesus Gonzalez Nieto, Leiter des spanischen KMU-Aktienmarktes BME Growth. «Das macht diese Anlageform sehr attraktiv.» Nietos Aussage wird durch empirische Analysen untermauert. So zeigen die Daten eines Berichts von Fidelity ("Putting Sustainability to the Test"), dass Aktien mit hohen ESG-Bewertungen von Januar bis September 2020 mit einer Ausnahme in jedem Monat besser abschnitten als solche mit schwächeren Bewertungen. Insgesamt untersuchte Fidelity 2660 Unternehmen. Die Aktien mit den schlechtesten ESG-Ratings erfuhren in diesen neun Monaten eine Wertminderung um 23 %, während die Unternehmen mit den besten Bewertungen 0,4 % zulegten.
Ebenfalls gibt es deutliche Hinweise, dass ESG-Anleihen besser abschneiden als Nicht-ESG-Anleihen. So haben beispielsweise Untersuchungen von Nordea ergeben, dass grüne Anleihen auf dem Sekundärmarkt während des risikoärmeren COVID-19-Phase im Sommer 2020 eine bessere Performance erzielten.
2. Risikomanagement
Immer mehr Investoren ziehen Geld zugunsten der erneuerbaren Energien aus energieintensiven Industrien ab. Zudem erlassen Gesetzgeber vermehrt Beschränkungen für schadstoffintensive Unternehmen. Ohne eine erfolgreiche Transformation, so fürchten Experten, könnten bestimmte Unternehmen damit früher oder später obsolet werden. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen dies als Risiko gestrandeter Vermögenswerte («stranded assets»). Solche Vermögenswerte sind für Anleger praktisch wertlos. Namhafte Investoren wie etwa der norwegische Staatsfonds mit einem Volumen von 1 Billion US-Dollar sahen sich deshalb bereits veranlasst, ihr Engagement in grossen Rohstoff- und Versorgungsunternehmen zu reduzieren.
Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, in Sektoren zu investieren, welche derzeit vielleicht noch nicht als völlig nachhaltig gelten, aber mit den entsprechenden finanziellen Mitteln die Transformation schaffen könnten. So argumentierte etwa Karoline Rosenberg, Fondsmanagerin bei Fidelity, in ihrer Rede auf der jährlichen BME-Konferenz Foro Medcap im Mai 2021. Ehemals umweltschädliche Branchen wie etwa die Automobilindustrie könnten dadurch beispielsweise die Entwicklung ihrer Elektrofahrzeugflotten finanzieren und würden so langfrsitig umweltfreundlicher.
3. Regulierung
Das weltweite Interesse von Investoren an ESG-Anlagen wird auch durch neue Regulierungen unterstützt. "In der EU steht das Thema Nachhaltigkeit schon seit langem ganz oben auf der politischen Agenda. So hat die Europäische Kommission beispielsweise ein Paket für nachhaltige Finanzen auf den Weg gebracht", erklärt Jesus Gonzalez Nieto von BME Growth. Die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) ist im März 2021 in Kraft getreten und gilt für Vermögensverwalter, Versicherungen und Banken. Danach müssen die betroffenen Institute offenlegen, wie sie Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Anlageprozesse einbeziehen.
Mit der EU-Taxonomie, die dem Greenwashing in der Finanzbranche entgegenwirken soll, ist bereits der nächste Meilenstein in Planung. Die Taxonomie schafft einen Rahmen, der festlegt, welche Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig angesehen werden können. «In Märkten wie der EU, Grossbritannien und Singapur gibt es derzeit sehr viele Initiativen für einheitliche Standards – das macht den gesamten Prozess sehr kompliziert», so die Nachhaltigkeitsexpertin Rebecca Self.
Einige Herausforderungen im Zusammenhang mit ESG sind noch nicht gelöst
Rebecca Self ist Direktorin für nachhaltiges Finanzwesen bei der auf Klimafragen spezialisierten Agentur South Pole. Das Problem der aktuell konkurrierenden ESG-Standards und Bewertungssysteme thematisierte sie im Rahmen einer Podiumsdiskussion von SIX zum Thema "ESG und die Realwirtschaft" im Mai 2021: «Es hat 50 bis 60 Jahre gedauert, bis wir vergleichbare Standards für die Rechnungslegung in der Finanzberichterstattung hatten. Wir haben einfach nicht die Zeit, so lange auf ESG-Standards zu warten», mahnte sie.
Auch ESG-Ratings sind nicht unproblematisch, da die Analyse der Ratingagenturen potenziell sehr subjektiv sein kann. Die Berechnung der ESG-Bewertungen erfolgt nämlich nicht nach standardisierten Methoden. Das bedeutet, dass verschiedene Agenturen bei identischen Unternehmen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen können. Dies ist nicht allein die Schuld der Ratingagenturen. Da die Daten, die diese Agenturen von Unternehmen und Produktemittenten erhalten, selten standardisiert sind, ist es sehr schwierig, die Unternehmensleistung im Bereich ESG genau zu messen.
Finanzmarktinfrastrukturen sind deshalb nicht nur bestrebt, mehr ESG-Aktivitäten zu fördern, sondern die Branche auch in der Entwicklung bewährter Verfahren zu unterstützen. SIX und ihre Börsen sind dafür aktives Mitglied in einer Reihe von Brancheninitiativen sowie nationalen und internationalen Arbeitsgruppen. «Wir von den spanischen Börsen sind beispielsweise aktiv an der Entwicklung von Branchenstandards für ESG-Anleihen und -Aktien beteiligt», erzählt Gonzalo Gómez Retuerto. «Daran werden wir auch weiterhin arbeiten.»